Aspekte zur Reform der Rheinischen Kirche EKiR
Vortrag vor der Bremischen Pfarrerschaft am 17. Nov. 2017
Domgemeindehaus Bremen
von Manfred Alberti
Liebe Schwestern und Brüder, vielen Dank für die Einladung nach Bremen.
Nach dem, was ich an Informationen bekommen habe, beneide ich Sie ein bisschen, denn Kirchen mit einer sehr weitgehenden Eigenverantwortung der Gemeinden sind mir sehr sympathisch. Ein gutes Leitbild von Kirche ist die Nähe von Leitung und Gemeindegliedern.
Das hatten wir im Rheinland auch einmal: Als ich 1977 nach Wuppertal - Sonnborn kam, sagten mir eine Presbyterin zum Verhältnis zur Kirchenleitung in Düsseldorf: „Düsseldorf ist weit weg. Was die sagen, interessiert uns erst einmal gar nicht.“
Das hat sich total geändert. Heute hat die gleiche Gemeinde fast nichts mehr zu sagen. Sie muss funktionieren im engen Rahmen und mit sehr wenig Geld.
Damit Ihnen das nicht passiert, möchte ich Ihnen ganz subjektiv aus dem Erleben eines engagierten Gemeindepfarrers der Rheinischen Kirche einige der Aspekte darlegen, die in meinen Augen im Rheinland schief gelaufen sind. Dieser Vortrag soll dabei keine wissenschaftlich Analyse neuerer Rheinischer Kirchengeschichte sei – dazu könnten Sie lieber meinen Aufsatz im Deutschen Pfarrerblatt Dez. 2012 lesen – sondern eine subjektive Warnung aus rheinischer Erfahrung vor Gefahren des Kirchenreformprozesses.
1.) Hinführung
Aber ich möchte gerne beginnen mit einer Frage, die Sie vermutlich verwundert: Wer von Ihnen kümmert sich gerne um Verwaltung? Niemand: Da haben sie fast schon verloren!
Denn im Nachhinein betrachtet war das in meinen Augen der entscheidende Fehler der 2000 rheinischen Pfarrer und 250 Synodalen, dass man sich nicht um die Verwaltung gekümmert hat. „Das interessiert mich nicht! Das werden die Fachleute schon regeln!“ war die unausgesprochene Haltung.
Und die Verwaltungsleute haben das geregelt: zu ihren Gunsten. Naiverweise waren nämlich alle davon ausgegangen: „Verwaltung ist dienende Verwaltung“ und haben gar nicht mitbekommen, dass es darin durchaus Menschen gibt, die große Lust am Herrschen, am Entscheiden hatten. Und die die Tricks kannten, wie man das durchsetzt. Verwaltung ist im Rheinland juristisch vom Diener zum Herrscher über die Gemeinden geworden.
Wie geht das?
2.) Ein wenig zur kirchengeschichtlichen Einordnung
Um die Jahrtausendwende waren die Zahlen der Austretenden noch recht hoch, die Kirchenbindung der Gemeindeglieder ging offensichtlich zurück, die Angst um die Kirchenfinanzen und einen schleichenden Bedeutungsverlust der Kirche war groß. Es gab eine immer schlechter werdende Stimmung. Gleichzeitig eine hilflose Kirchenleitung der EKD, ohne Macht und ohne Einfluss.
Für Kirchenleitende eine unbefriedigende Situation: Sie bekamen Geld von den Gemeinden zugeteilt, mit dem sie ihre Aufgaben erledigen sollten. Man war auf die Gemeinden angewiesen und von ihnen abhängig. Man hatte keine Macht über die Finanzen. Wenn man etwas verändern wollte, brauchte man mehr Einfluß auf das Geld, das den Gemeinden als Kirchensteuer zufloß!
Ob bewusste Strategie oder historischer Zufall: Über lange Zeit hat es Impulse von oben gegeben, die wir damals, als sie geschahen, nicht so richtig einordnen konnten. Und kaum jemand hat sie durchschaut und sich dagegen gewehrt. Diese Punkte hatten aber schnell deutliche Konsequenzen hervorgerufen. Drei will ich nennen.
2.1.) Z.B. die Abwertung der Pfarrer und Pfarrerinnen
Je schlechter die Stimmung in der Kirche wurde und die Angst wuchs, umso mehr hatte man als die Schuldigen die Pfarrerschaft ausgemacht. Sie trugen die Schuld an der schlechten Darstellung der Gemeinden, sie predigten zu schlecht, sie waren zu engstirnig und trieben die Leute regelrecht aus der Kirche hinaus. Sie waren unfähig zu guter Arbeit.
Das war aus landeskirchenamtlicher Sicht ja sogar zu verstehen. Dort oben kamen nur die Beschwerden über schlechte pfarramtliche Arbeit an, kein Lob über die vielen, mit deren Arbeit die Gemeinden zufrieden waren.
Pfarrer waren unkündbar. Auf der anderen Seite gab es einen Berg an Nachwuchs. Den konnte man nicht bezahlen. Was tun? Die Rheinische Landeskirche öffnete in den neunziger Jahren eine Schleuse, indem sie Zehn-Jahresgespräche mit allen neu gewählten Pfarrern mit der Möglichkeit des Rates zum Stellenwechsel einführt, was einem Zwang gleichkam.
Eine Epochenwechsel: D.h. Zum ersten Male hatten die Gemeinden offiziell Gelegenheit, unliebsame, aber eigentlich unkündbare Pfarrer loszuwerden. Und die Gemeinden machten reichlich Gebrauch davon nach dem Motto: Lasst uns einen anderen ausprobieren, vielleicht wird es ja besser.
Eine verheerende psychologische Veränderung im Rheinland: Junge Pfarrer waren jetzt angewiesen auf das gute Verhältnis zur Gemeinde, sie waren davon abhängig. Ihre Predigten und ihre Gemeindearbeit waren nicht mehr frei, sondern immer mehr sahen sich innerlich gezwungen, den wichtigen Leuten in der Gemeinde nach dem Mund zu reden.
Eine Katastrophe für das Ansehen und die Autorität der Pfarrerschaft. Viele wurden ängstlich und vermieden Streit und Auseinandersetzungen, denn innerhalb von kurzer Zeit hatte sich ein Berg von Pfarrerinnen und Pfarrern angesammelt, die ihre Gemeinden verlassen mussten: Und angesichts des reichlich vorhandenen Nachwuchses standen sie vor dem Nichts: Mit schlechten Chancen, irgendwo gewählt zu werden, und mit der Angst, bald recht jung in den Ruhestand verabschiedet zu werden.
Die Rheinische Pfarrerschaft wurde leider zu einer ängstlichen Pfarrerschaft. Die Angst vor Konflikten führte viele zu einer Zurückhaltung bei öffentlichen Äusserungen: Ein hervorragender Nährboden, auf dem andere in die Machtlücke springen konnten, die die Pfarrerschaft hier hinterlassen hatte.
2.2.) z.B. Abwertung der Gemeinden
Aber nicht nur die Pfarrerschaft wurde abgewertet, auch die Gemeinden. Sie wurden immer öfter in den Medien und von Kirchenleitenden verspottet als der Hort der letzten hinterwäldlerischen Christen. Mit den Gemeinden sei kein Staat zu machen, man bräuchte eine neue moderne Kirche. Neue Strukturen. Neue Gemeindemodelle, neue Ansätze. Alles wäre viel zu altmodisch. Und tatsächlich fand man immer supergute Beispiele dafür, wie es anders, erfolgreicher gehen könnte:
- Evangelikale Gemeinden mit hunderten Kirchgänger. Dass diese aus zig Kilometer im Umkreis erzkonservative Anhänger anzogen, wurde dann nicht erwähnt in dem Vorwurf: Warum schafft ihr das als evangelische Gemeinde nicht?
- Tendenzgemeinden wurden ein Vorbild, politisch engagiert, Gospelgemeinden usw: Gemeinde mit medial strahlenden Auswirkungen auf große Gebiete. Das sei viel moderner als die altmodischen Ortsgemeinden.
Und leider sind viele Gemeinden und Pfarrer damals auf diese Trends hereingefallen, haben sich schuldbewusst selbst klein gemacht und haben gehorsam den Oberen zugestimmt, dass man die Gemeinden gehörig umkrempeln muss.
So wurde dann die Frage übermächtig: Was ist denn eine Gemeinde? Was muss sie können? Was muss sie leisten? Kann und muss sie allen alles bieten? Theatergruppe, Band, Seniorenkreis für Herren?
Was erwartungsgemäß herauskam, war im Grunde eine defizitorientierte Analyse, keine Analyse der Stärken. Fast keine Gemeinde leistet alles das, was für eine Gemeinde nach Meinung der Kirchenleitung notwendig sei.
Das Selbstbewusstsein der Pfarrer und Pfarrerinnen, der Presbyter und Presbyterinnen und der Gemeinden sank rapide: Sie waren über die Jahre quasi waidwund geschossen.
Jetzt als pensionierter Pfarrer, der im Jahr so um die dreißig Predigten in sieben oder acht Gemeinden im Kirchenkreis hält, habe ich eine Erfahrung gemacht, die mir vorher gar nicht so deutlich war: Jede einzelne Gemeinde hat ihre Stärke, ihre Besonderheiten, etwas, das sie einzigartig und liebenswert macht. Nicht alle bieten alles an, aber gerade die Besonderheiten durch einzigartige Ehrenamtliche oder einzigartige Begabungen ihrer Pfarrer und Pfarrerinnen und ihrer Mitarbeiter machen Gemeinden zu guten Gemeinden.
Aber natürlicherweise schlichen sich mit den defizitorientierten Fragestellungen Überlegungen über das Überleben von Gemeinden ein: Sollte man nicht kleinere Gemeinden einfacher zusammenlegen können, egal ob sie wollen oder nicht.
Aber man übersah damals und übersieht heute, was dabei alles verlorengeht.
2.3.) z.B. Angst schüren um Kirchenfinanzen
Aber zurück zu den mentalen Vorbereitungen Anfang des Jahrtausends auf die Umordnung der evangelischen Kirche. Ganz wichtig wurde die breit geschürte Angst um die Kirchenfinanzen. In den Gemeinden wurde regelrecht die Furcht verbreitet, sie könnten bald nicht mehr bestehen.
So machte sich ein Gefühl in den Gemeinden breit: „Wir sind eine Evangelische Kirche ohne Zukunft.“
3.) Bis dann die EKD auf den Plan trat und um 2006 zwei Lösungsansätze verbreitete.
Der erste war damals geheim. Den kannten bis 2013 und eigentlich bis heute nur wenige. Aber er war sozusagen die Initialzündung und Grundlage für alles andere:
3.1.) Der Erweiterte Solidarpakt von 2006
2006 hat die Kirchenkonferenz der EKD, also der Zusammenschluss der Leiter der Landeskirchen, einen Erweiterten Solidarpakt beschlossen.
D.h. Weil in der EKD jede Gliedkirche für die andere einspringen muss, wenn eine Kirche Finanzschwierigkeiten hat, wird der EKD Einfluss auf den Umgang der Landeskirchen mit ihren Gelder zugestanden: Sie muss kontrollieren können, ob jede Landeskirche nach gemeinsam verabredeten Maßstäben ordentlich mit den Geldern umgeht. Und sie muss dann evtl eingreifen können.
Aber: Damit hat die EKD Macht über Landeskirchen, Kirchenkreise und Gemeinden bekommen. Sie ist nicht mehr nur höhere Ebene für gesamtkirchliche Aufgaben, sondern eine eigene Macht, wie eine Konzernspitze: Sie bestimmt die Regeln, nach denen die Landeskirchen zu leben haben. Erst global, dann immer detaillierter.
Ein zentraler kritischer Punkt waren die Versorgungslasten, die bei fehlenden Zinsen immer stärker die Landeskirchen belasteten. Die EKD verlangte deshalb von manchen Landeskirche, z.B. der Rheinischen Kirche, massive Geldrücklagen für die Sicherung der Versorgung. Gelder, die anderswo natürlich eingespart werden mussten.
Aber wie konnte man nun auch diese Macht über die Finanzen von oben nach unten praktisch durchsetzen, indem man Zugriff auf die Gelder der Gemeinden bekommen konnte? Immerhin war das für die Rheinische Kirche eine Umkehrung des Verhältnisses von Gemeinden und Landeskirche, von den Füßen auf den Kopf.
Da half die zweite, nun öffentliche Initiative: Die Schrift „Kirche der Freiheit“
3.2.) EKD „Kirche der Freiheit“ als Aufbruch
Wer sich an die Zeit um die Jahrtausendwende erinnert, kann sich die Situation, in der Kirche der Freiheit entstand, noch gut vorstellen.
Erinnern wir uns: Eine immer schlechter werdende Stimmung in der Kirche, Austrittszahlen, zurückgehende Kirchenbindung, eine hilflose Kirchenleitung der EKD, ohne Macht und ohne Ideen.
Gleichzeitig boomt die Wirtschaft. Da breitet sich das Gefühl aus: Von der Wirtschaft lernen, heisst siegen lernen.
Anfang des Jahrtausends werden hohe Wirtschaftsvertreter in den Rat der EKD berufen: Frau Marlehn Thieme aus dem Vorstand der Deutschen Bank, Dr. Peter Barrenstein, Partner bei McKinsey.
Und wenn man selbst hilflos ist, dann fällt man sehr leicht auf andere Ideen herein: Gemeinden und die Kirche sollen aufgestellt werden wie die Wirtschaft: Die kompetenten Oberen sind informiert und entscheiden und die unteren gehorchen und führen aus. Kirchliche Angebote müssen wie Markennamen sein: mit unverwechselbarem Markenkern, je beliebter desto besser, mit Aufmerksamkeit heischender Werbung. Je besser die Ware, desto erfolgreicher die Kirche. Kirche wie ein Wirtschaftsunternehmen.
Also:
Zentralisierung, da nur die Oberen wissen können und den Überblick haben, was wirklich gut ist;
Top down Strategie: Die einen befehlen und die anderen gehorchen;
Klare Vorstellungen über jeden Arbeitsbereich: Ein Gemeindeleitbild für jede Gemeinde anzufertigen, wird vorgeschrieben und festgelegt.
Optimierung der Mitarbeiter: Eine neue Predigtoptimierungsorganisationen in Wittenberg, obwohl es die Universitäten und Hochschulen mit gleichem Angebot gab.
Personalgespräche, auch um den Gehorsam gegenüber diesen Leitbildern und die Umsetzung zu überprüfen.
3.3.) Aber was ist daran nun falsch??
Kirche funktioniert nicht wie eine Firma.
Am Beispiel Bayer (Aspirin), da liegt das weltgrösste Pharma - Forschungszentrum direkt an meiner früheren Gemeinde in Wuppertal und ich hatte oft mit Forschern zu tun.
Bei Bayer entscheidet nach tausend Diskussionen und Beratungen die oberste Ebene, welches der Medikamente in der Forschungspipeline Erfolg verspricht und welches deshalb umgesetzt wird. Die Mitarbeiter müssen das so hinnehmen, auch wenn sie das eigentlich für falsch halten. Wenn es dann irgendwelche Probleme gibt, dann wird mit viel Geld weltweit nach den besten Forschern gesucht, die diese Probleme lösen können.
Aber funktionieren Gemeinden wirklich genauso? Können Sie mit viel Geld einen Experten einkaufen, der ein entstandenes Problem löst?
Gemeinden funktionieren ganz anders, nämlich von unten nach oben: Wenn ein ehrenamtlicher Mitarbeiter in einer Gemeinde eine gute Idee hat, was er in der Gemeindearbeit machen könnte, dann sollte die Gemeindeleitung die Umsetzung dieser Idee versuchen und mit ihren Mitteln unterstützen: Z.B. einen Seniorenkreis nur für Männer. (Wenn man zwei, drei gerade pensionierte Männer hat, die aktiv was tun wollen, dann kann man mit denen verabreden: Wir treffen uns jetzt alle vierzehn Tage nachmittags bei Kaffee, Tee und Kuchen, oder Bier und Wein und klönen und sprechen miteinander. Wir laden andere Männer einfach dazu ein. Wir verpflichten uns, das ein halbes Jahr durchzuhalten. Und dann sehen wir, ob das klappt. Sie werden sich wundern, wieviele Männer gerne einmal für einige Stunden rausgehen möchten: Mein so entstandener Männerkreis in Wuppertal besteht jetzt seit dreissig Jahren, Forscher wie auch Handwerker und Arbeiter: ganz quer gemischt. Keine Referate, nur Diskussionen, was jedem so auf dem Herzen liegt. Auch fünf Jahre nach meiner Pensionierung klappt das noch ohne mich.)
Einige Ehrenamtliche hatten die Idee und haben das angepackt. Kein Präses oder Bischof kann Gemeinden dazu zwingen, so etwas zu machen: Es braucht die Bereitschaft und Freude der Ehrenamtlichen. Davon lebt Kirche. Und sie lebt gut davon: Als Pensionär bekomme ich ja die riesige Vielfalt der je unterschiedlichen Gemeinden mit. Nicht weil sie so gute Leitbilder haben, sondern weil sich unendlich viele Ehrenamtliche freiwillig einbringen. Weil eine Mutter ihre Kinder zum Kindergottesdienst mitnimmt und die ihrer Nachbarn und Freundinnen, klappt ein guter Kindergottesdienst: Nicht weil die Kirchenleitung das für alle Gemeinden für ideal hält und das allen Gemeinden befiehlt. Diese Ehrenamtlichen zu ermutigen, ist meines Erachtens nach eine der wichtigsten Aufgaben im Pfarramt. Gemeinde – und Kirche - wachsen von unten: nicht top down von oben.
Oder eine andere Grundlage für erfolgreiche Gemeindearbeit: Die vielen besonderen Gaben der Pfarrerinnen und Pfarrer und Mitarbeiter zu nutzen und diesen dafür Freiraum zu geben, statt sie in ein straffes von oben verordnetes Korsett zu zwingen. (Z.B. Jeden Donnerstag in den Sommerferien eine ganz oder halbtägige Ferienfahrt als erfolgreiches Projekt Gemeindeaufbau: Eine Andacht im Bus und einen durchstrukturierten Tag mit interessanten Angeboten. (Von Wuppertal aus ein Tag in Worpswede und Stadtführung in Bremen, oder eine Besichtigung des Bremerhavener Hafens mit Kaffeetrinken am Meer). Zwei oder drei Busse wurden meistens voll. Manche Außenstehende fanden so Kontakt zu in der Gemeinde aktiven Gemeindegliedern, zur Frauenhilfe, zum Seniorenkreis, zu den Seniorenfreizeiten.) Das ist mein Hobby gewesen und daran erinnern sich viele Leute sehnsüchtig, wenn sie an meine fünfunddreißig Jahre in Sonnborn denken.)
Und ein weiterer Unterschied zwischen Firma und Kirche: Die Qualität. - Nichts gegen Fortbildungen. Natürlich kann jeder immer besser werden und das ist auch sinnvoll und erstrebenswert.
Aber: Kommen die Menschen wirklich in den Gottesdienst wegen der überragenden Qualität einer Predigt. Einige Menschen vielleicht. Aber wenn das stimmt, dann hätte ich jeden Sonntag vor leeren Bänken predigen müssen, denn wenige Kilometer weiter predigte eine Gewinnerin des Deutschen Predigtpreises. Aber gewechselt hat kein Predigtbesucher, obwohl eh die meisten mit dem Auto gekommen sind: Es ist eine Selbsttäuschung des Konzeptes von „Kirche der Freiheit“, zu glauben, die Besucher kämen vor allem wegen der Predigtqualität, und je besser die Predigt desto mehr Besucher: Sie kommen wegen ihrer Freundinnen, die sie hier sonntags morgens treffen, wegen der gewohnten Umgebung, weil sie seit Jahren immer hierhin gehen und weil sie diese Pfarrerin leiden können. Manche freuen sich auf ihre Art zu predigen. Viele kommen wegen des Gefühls einer kirchlichen Heimat. Natürlich kommen zu einem guten Prediger, einer guten Predigerin mehr, aber die Qualität ist nicht das hervorragende Moment bei der Auswahl des Gottesdienstes.
Ich sehe an diesen Punkten, weshalb der Ansatz der „Kirche der Freiheit“ von vorneherein falsch war. Kirche funktioniert nicht wie die Wirtschaft, wie eine Firma mit Zentrale und vielen Filialen.
Die vorliegenden aktuellen Befragungen der Kirchenmitglieder zeigen genau das: Kirche muss nahe an den Menschen sein. Die Ortsgemeinde, der Bezirk, die Ehrenamtlichen, die Gemeindepfarrer sind wichtig: Nicht hervorragende Predigten in zentralen Kirchen. Das gibt es ja in vielen Großstädten: Aber sind deshalb die anderen Kirchen leer und alle laufen der Qualität wegen dahin? Bestimmt nicht.
Kirche ist Heimat, meine Gemeinde. Hier fühle ich mich bei aller Kritik wohl. Diese Heimat wird von den Gemeindegliedern gestaltet, nicht nach Kriterien, die von oben vorgegeben werden. Diese Heimat entwickelt sich, indem das erfolgreich ist, was gerne angenommen wird, und das von Niemandem Angenommene verschwindet bald wieder von der Bildfläche. So wird meine Kirche meine Gemeinde und meine Heimat.
4.) Was kann man als Gemeinde, als Pfarrer oder Pfarrerin, als Gemeindevorstand tun? Ich denke, man kann sich wehren gegen zentrale Veränderungen, mit denen die Umverteilung von Macht und Geld von unten nach oben durchgesetzt werden sollte:
Ich will das an vier Beispielen aus dem Rheinland aufzeigen, wo das leider nicht oder nur teilweise gelungen ist:
4.1.) Personalplanungsgesetz
Zufällig war Wuppertal der Anlass: In kurzer Zeit wurden mehrere A-Kirchenmusikerstellen gestrichen – wegen Pensionierung oder Streit – und neu nur mit B - oder C - Kirchenmusikern besetzt. Gleichzeitig konnten immer weniger Gemeinden ganze Jugendleiterstellen oder Gemeindehelferinnenstellen als ganze Stellen behalten.
Konsequenz der Synode: Wir brauchen ein Personalgesetz, um Mitarbeiterstellen in den Gemeinden gegenüber den Pfarrstellen in einem ausgewogenen Verhältnis zu erhalten.
Die Lösung: Alle Personalstellen werden nicht mehr bei den Gemeinden, sondern beim Kirchenkreis angesiedelt, so dass man für mehrere Gemeinden zusammen Vollzeitstellen einrichten kann. Über Vor- und Nachteile dieses Systems will ich jetzt nicht ausführlich reden. Klar ist, die Gemeinden verlieren die eigenen Mitarbeiter, können sie sich nicht mehr aussuchen und bekommen also auch das Geld nicht mehr, das diese Mitarbeiter kosten. Diese sind Angestellte des Kirchenkreises und werden von dort entsandt.
Traurige Erfahrung nach etlichen Jahren: Der Abbau der Gemeindemitarbeiterstellen geht genau so voran wie vorher. Es gibt nicht mehr Stellen für Jugendarbeit oder gar Kirchenmusik. Warum: Darüber später mehr.
Aber fällt Ihnen bei diesem Satz noch etwas anderes auf: Alle Personalstellen werden nicht mehr bei den Gemeinden sondern beim Kirchenkreis angesiedelt!
Fast allen ist im Rheinland dabei nichts aufgefallen. Aber: Bei „allen Personalstellen“ sind auch die Pfarrstellen mit eingeschlossen. Und als ich dem Nikolaus Schneider, der damals rheinischer Präses war, das geschrieben habe, hat er mir geantwortet: „Nein, niemand will den Gemeinden die Pfarrer und die Pfarrwahl wegnehmen.“ Aber wörtlich genommen stand es da so. Und weil einige Jahre vorher schon einmal solche Versuche in der Synode krachend durchgefallen waren, war ich fest davon überzeugt, dass jemand das bewusst so formuliert hat: Die Pfarrwahl sollte den Gemeinden weggenommen werden. Möglichst beschliessen, ohne dass man das merkt. Dann könnte man Zahl und Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer zentral von oben steuern und auch die dafür aufgewendeten Gelder leichter steuern und beschränken.
Eine Konsequenz: Auch wenn das nicht eine erfreuliche Freizeitlektüre ist: Beschlussvorlagen mit ihren Anhängen präzise lesen, nicht wohlwollend – „Das wird schon stimmen! Das haben schließlich Experten geschrieben!“ – sondern sehr kritisch: Was könnte da für ein Haken verborgen sein?
Ich habe nach dieser Mail von Nikolaus Schneider die Vorlage noch einmal ganz selbstkritisch gelesen und zwei Freunde gefragt: Die kamen zu dem gleichen Ergebnis wie ich.
Daraufhin habe ich allen möglicherweise daran interessierten Kollegen und Presbytern aus meiner Mail-Adressenliste einen Brief geschrieben mit dem Hinweis auf diese Gefahr in der Synode für die Gemeindepfarrwahl und sie gebeten, ihre Synodalen darauf aufmerksam zu machen.
Und was passierte: Am ersten Tag der Synode lag eine neue Vorlage auf dem Tisch, die ausdrücklich die Pfarrer von diesem Verfahren ausschließt. So ist bis heute die Pfarrwahl durch die Gemeinde eines der wenigen übriggebliebenen Rechte der Gemeindebasis.
Dass sie in meiner Abwesenheit in der Synode laut über meine Anmaßungen geschimpft haben, habe ich überlebt. Aber die Pfarrwahl ist gerettet.
In den Jahren danach habe ich Vorlagen, die das Verhältnis Gemeinde- Synode - Kirchenleitung betrafen, immer sehr kritisch versucht zu analysieren und in insgesamt über dreissig Rundschreiben einen Kreis von ca. 300 Interessenten informiert: Leider nur manchmal mit Erfolg.
4.2.) Der zweite Punkt nach der Personalstruktur ist ein ganz zentraler Punkt in der Entmachtung der Gemeinden: Die Verwaltungsstrukturreform. Wie am Anfang gesagt, Verwaltung interessiert fast niemanden und so haben auch nur wenige sich damit auseinandergesetzt. Im Rheinland zu wenige. Es hat nicht gereicht. Die Verwaltung hat ihre Wünsche und Ideen durchsetzen können. Ein Ergebnis: Im Rheinland wird mancher Verwaltungsleiter mit A 16 besser bezahlt als der Superintendent mit A 15 plus befristeter Zulage nach A 16.
Da das Muster der Gemeindeentmachtung möglicherweise in Bremen gewisse Ähnlichkeit haben könnte, will ich Ihnen das etwas ausführlicher erzählen, wie im Namen der Vereinfachung und „Entlastung der Theologen von Verwaltungsaufgaben“ ursprüngliche Gemeinderechte ausgehebelt wurden.
Erster Schritt: Im ganzen Kirchenkreis werden die Verwaltungsaufgaben gebündelt und zwangsweise Kirchenkreisverwaltungsämter gebildet und die Gemeindeämter geschlossen.
Die bislang für das Gemeindeamt ausgegebenen Verwaltungskosten werden zukünftig nicht mehr an die Gemeinden ausgezahlt, sondern direkt vom Kirchenkreis einbehalten. Jährlich wird von der Verwaltung der Bedarf neu berechnet und nur noch den verbleibenden Rest bekommt die Gemeinde.
Merken Sie, was für ein gefährlicher Satz das ist! Nicht mehr die Gemeinde bestimmt, was kirchliche Verwaltung kosten soll, sondern die Verwaltung berechnet, was sie gerne haben möchte, was sie braucht.
Sind Sie als delegierter Pfarrer im Verwaltungsausschuss, der das genehmigt, in der Lage, das kritisch zu hinterfragen? Wohl eher nicht: Selbst der Superintendent nicht, denn er hat keinen eigenen Mitarbeiter mehr: Auch sein Büro untersteht dem Verwaltungsleiter. So hat sich im Rheinland eine Verwaltungsbürokratie etabliert, die unendlich viel Geld verschlingt. Geld, was letztlich den Gemeinden für ihre Gemeindearbeit fehlt.
Vergangene Woche habe ich mündlich gehört, dass dieser Selbstbedienungsmentalität jetzt endlich Einhalt geboten werden soll: Es gibt wohl eine Vorgabe, dass die Verwaltungen im Rheinland ihre Ausgaben um dreissig Prozent kürzen müssen: 30 Prozent! So viel dürften die zentralen Verwaltungen mindestens teuer geworden sein als früher die dezentralen gemeindegliedernahen Gemeindeämter. Jetzt endlich eine Rolle rückwärts.
Da haben leider die Theologen und Synodalen auf mehreren Landessynoden nicht genau hingeschaut, was sie da beschlossen haben. Es hat sie trotz aller Warnungen schlicht nicht interessiert.
Eine weitere Methode, wie durch die Verwaltungsstrukturreform die Gemeinden entmachtet wurden, ist folgende:
So war früher der übliche Ablauf: Der Vorsitzendes des Presbyteriums, manchmal Pfarrer, manchmal Laie, hat vor der Auszahlung oder Überweisung alle Rechnungen unterzeichnet: zuerst ein Mitarbeiter auf dem Gemeindeamt, dann die Kontrolle durch den Gemeindeamtsleiter, dann Baukirchmeister, dann Kirchmeister, dann Präses.
Wer macht schon gerne Verwaltung? Theologie und Seelsorge sind wichtiger. Deshalb haben das viele gerne gehört: Wir wollen die Gemeinden von Routineaufgaben entlasten. Geschäfte der „laufenden Verwaltung“ übernimmt jetzt alleine die Verwaltung. Rechnungen bis tausend, dreitausend oder zehntausend Euro, je wie die Gemeinde das beschliesst, unterzeichnet endgültig der Mitarbeiter im Kirchenkreisverwaltungsamt, es sei denn, die Gemeinde hat sich diese Aufgabe im Einzelfall vorbehalten.
Aber: Wer die letzte Unterzeichnungsgewalt der „laufenden Verwaltung“ an den Leiter der Verwaltung abgibt, verliert im Rahmen des laufenden Etats die Macht über die Ausgaben: er kennt sie nicht mehr, er kontrolliert sie nicht mehr: Letztlich ist der Sachbearbeiter der Entscheider.
Wenn der Vorsitzende des Presbyteriums oder der Superintendent einen neuen Bürostuhl für seine Sekretärin für erforderlich hält, geht er bittend zu dem Sachbearbeiter. Der entscheidet endgültig, ob das Geld im Büroetat für neue Aktenschränke, einen neuen Drucker oder einen neuen Bürostuhl ausgegeben wird.
Absurde Welt, aber so beschlossen in der Landessynode.
Mit einem der damals führenden und tatkräftig drängenden Verwaltungsleiter sprach ich einmal auf der Rückfahrt von einer Veranstaltung über das zukünftige Prozedere bei Neubauten: Wenn in Zukunft eine Gemeinde ein Haus bauen will, dann gibt es eine Generalentscheidung über den Bau und die Gelder. Alles andere macht dann die Verwaltung, die das Gemeindehaus schlüsselfertig der Gemeinde übergibt. „Meine Fachleute zanken sich doch nicht mit den Presbytern über die Farbe der Türen und jeden Kleinkram: Das machen meine Fachleute.“
Natürlich ist die Realität eine andere als die juristische Wirklichkeit. Viele Verwaltungsleute waren mit dieser Machtausweitung überhaupt nicht einverstanden. Sie empfanden das als Überforderung, wenn Verwaltungsleute entscheiden sollten statt eines gemeindegliedernahen Presbyteriums. Doch juristisch könnten sich die Verwaltungsleiter im Streitfall durchsetzen.
So geht an einem Beispiel gesehen die Entmachtung der Gemeinde. Belassen Sie lieber die Entscheidungen gemeindegliedernah in den Presbyterien und erhalten sie sich ihr Gemeindeamt. Kirchenkreisverwaltung ist nie billiger als Gemeindeämter, sie expandiert wie alle Verwaltung nahezu ungebremst und nimmt sich die Gelder, die die Gemeinden dringend für ihre Gemeindearbeit bräuchten.
Erinnern Sie sich an das, was ich eben zur Personalstruktur sagte: Man wollte eigentlich durch Zusammenlegung von Stellen die Jugendmitarbeiter und die Kirchenmusiker stärken und ihre Stellen sichern: Mitarbeiterstellen und Pfarrstellen sollten in einem festgelegten Verhältnis zueinander stehen. Das Ergebnis: Jugend und Kirchenmusiker werden auch heute noch immer weniger, aber Verwaltungsmitarbeiter immer mehr.
Deshalb mein Rat: Passen Sie gut auf, dass nicht die Verwaltungsinteressen die Gemeindeinteressen dominieren. Schauen sie bei Vorlagen zur Verwaltung genau hin. Überlassen sie das nicht den Verwaltungsexperten. Die haben selbstverständlich ihre eigenen Interessen.
Achten Sie darauf, dass Verwaltung Verwaltung bleibt und nicht unter der Hand Leitungsaufgaben übernimmt. Die Lässigkeit der Pfarrkollegen, der Verwaltung blind zu vertrauen und sie alles das machen zu lassen, was sie machen wollte, hat sich bitter gerächt zu Lasten der Gemeinden. Die Verwaltung hat sich eine Leitungsfunktion zugeschustert, die bislang Presbyterien und Pfarrer innehatten.
Es ist völlig irrational, wenn ein Verwaltungsmitarbeiter, gerade neu eingestellt aus einer fernen Stadt kommend, Entscheidungsträger ist für eine Gemeinde, durch die er gerade vielleicht einmal gefahren ist.
Verwaltung und Leitung müssen getrennt bleiben. Verwaltung muss eine der Leitung gegenüber dienende Funktion haben. Leitungsaufgaben obliegen alleine dem Presbyterium und der Gemeindeleitung.
> www.manfredalberti.de Kap B 7 E
4.3.) NKF Neues Kirchlichen Finanzwesen
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Kirchenreform ist das NKF das Neue Kirchlichen Finanzwesen: Die Einführung der Doppik (doppelte Haushaltsführung) gegenüber der bisher üblichen Kameralistik.
Ich versuche die Bedeutung einmal relativ vereinfachend an drei Punkten zu zeigen.
4.3.1.) Zielorientierte Haushaltsführung
Früher liefen die Haushaltsberatungen folgendermaßen: Man hatte den alten Haushaltsplan, legte daneben die wirklichen Ausgaben dieses und des vergangenen Jahres und überlegte, wie hoch der Ansatz wohl für nächstes Jahr sein sollte: Eine neue Jungschargruppe ist entstanden, in der Kirche muss die Sakristei gestrichen werden, dafür hat der Seniorenkreis nichts gebraucht, weil er bei jedem Treffen sammelt und sich selbst finanziert usw.
Das NKF Neue Kirchliche Finanzwesen versteht man vielleicht am besten, wenn man sich eine Firma vorstellt. Da steht am Anfang die Frage: Wie steigern wir unser Vermögen. Wo wollen wir in den nächsten Jahren hin? Und die oberste Firmenleitung hat entschieden, wir sollten in Südamerika eine Zweigstelle aufmachen: Unser Produkte können dort gut abgesetzt werden. Also brauchen wir in zwei Jahren für Bau und Eröffnung zehn Millionen Euro. Und nächstes Jahr für die vorbereitenden Reisen und Beratungen vielleicht zwei Millionen. Dafür läuft Osteuropa vermutlich auf Dauer schlecht, da sollten wir kräftig einsparen. Auch die Werbung in Deutschland muss dann nächstes Jahr zurückgefahren werden zugunsten des Südamerikaengagements.
So soll das NKF Neue Kirchliche Finanzwesen laufen: Man hat die linke Seite des Haushaltsbuches mit allen möglichen kirchlichen Aktivitäten. Und jetzt träumen wir: Wie soll unsere Gemeinde in zehn Jahren aussehen? Des Presbyteriums Haupttraum: Volle Kirche und davon die Hälfte Jugendliche!
Grundfrage: Wie können wir das erreichen? Jetzt kommt als einzige Jugendliche ja nur die Tochter von Presbyter Müller, wenn der Vater Dienst hat.
Also was tun?
Wir brauchen eine Band: Der Kirchenmusiker soll eine Fortbildung machen, um eine Band gründen zu können.
Wir verdoppeln die Jugendleiterstunden!
Wir machen eine Werbekampagne bei allen Schulen in der Umgebung.
Im Gemeindehaus gibt es keinen Handyempfang: Eine Firma soll das richten.
Der Jugendkeller wird zur Vermietung für Feten freigegeben: Der Küster bekommt mehr Stunden. Usw. usw. usw.
Dem Haupt - Ziel wird alles andere untergeordnet.
Und im NKF Neuen Kirchlichen Finanzwesen gibt es nicht nur ein Ziel, wie ich es jetzt dargestellt habe, sondern das Leitungsgremium muss für alle kirchlichen Felder, die der Gemeinde unterstehen, solche Ziele erarbeiten. Zielorientiert wird der Haushaltsplan aufgestellt. Nicht orientiert an den bisherigen Ergebnissen.
Dafür ist die linke Seite des Haushaltsbuches da: Dort wird Analyse betrieben, Fernziele eingegeben und Nahziele beschrieben: Man installiert eine zielgerichtete Leitungsstruktur: Führen durch Zielvereinbarung – management by objectivs. Nicht nur für Jugendarbeit: Für Gottesdienstbesuch, für den Gemeindebrief, für die Seniorenarbeit usw. Und dann wird nach Wichtigkeit entschieden: Was will ich erreichen? Wie soll meine Gemeinde in Zukunft aussehen.
Ihre Frage sehe ich schon fast auf ihren Gesichtern: Und wo soll das Geld herkommen?? Nirgendwo, sie haben das gleiche Geld wie vorher zur Verfügung, sie sollen es nur ganz konzentriert und dezidiert nach Wichtigkeit ausgeben.
Aber wie kann man das? Dazu verhilft eine andere Spezialität des NKF Neuen Kirchlichen Finanzwesens.
4.3.2. Präzisierte Haushaltsführung
Der Haushalt muss sehr präzise aufgestellt werden:
Z.B.: Sie als Pfarrerin oder Pfarrer: Was machen Sie so den ganzen Tag? Kirchlichen Unterricht geben, Besuche, Nachdenken, Seelsorgegespräche, Predigtschreiben, Gottesdienstvorbereiten usw. usw. Wieviel Zeit verbringen Sie damit und wieviel Zeit im Auto oder in der Strassenbahn? Das können Sie alles präzise erfassen, und wenn Sie das einige Monate gemacht haben, dann haben sie ihre Durchschnittswerte und können ausrechnen, was jede einzelne Handlung kostet: 98 000 € kostet ein rheinischer Pfarrer jährlich mit seine Anteilen für Versorgung, für Vikare, für amtsenthobene Kollegen etc.. 52 Wochen abzgl. Urlaub, Fortbildung, Krankheit bleiben 44 Wochen mit je sechs Arbeitstagen, das sind 264 Arbeitstage. Also kostet jeder Pfarrerarbeitstag 371 €, jede Stunde 46,37 €. Hinzu kommen Fahrtkosten, Kosten für Pfarrhaus, Büro etc.
Wenn sie also die Kosten eine Gottesdienstes ausrechnen und bewerten wollen, dann zählen sie zu den zwei Zeitstunden Gottesdienst mit An- und Abfahrt noch die acht Stunden Vorbereitungszeit, die anteiligen Küsterstunden für Begleitung und Reinigung, die anteiligen Telefonkosten, die Jahreskirchengebäudekosten geteilt durch 100 Gottesdienste usw, usw hinzu.
Dann kommt heraus, was so ein Gottesdienst kostet und sie können überlegen, ob er das angesichts der Besucherzahlen wert ist. Das gleiche gilt für die Jungschar, für die Frauenhilfe, für den Schulgottesdienst: Alle Kosten sind auf Heller und Pfennig ausrechenbar. Lohnt sich das oder sollte die Gemeinde lieber anderswo investieren?
Genauso wie die Firma Bayer, nehmen wir sie noch einmal als Beispiel, die die Kosten für die Produktion jedes einzelnen Medikamentes jedes Jahr auf Heller und Pfennig einschliesslich der Anteile an den Allgemeinkosten der Firma durchrechnet und dann entscheidet, ob das Medikament weiter produziert wird oder ob es sich nicht mehr lohnt. Eine Controllingaufgabe.
Solche Ausrechnungen bilden dann die Grundlage für die Entscheidungen nach dem Neuen Kirchlichen Finanzwesen. So setzt sich dann ihr neuer Haushalt zusammen und sie können ausrechnen, was sich an kirchlicher Arbeit lohnt oder was nicht. Dass Pfarrerinnen, Pfarrer und auch viele Presbyter ein solches Denken über Kirche für völlig abwegig halten, hat nichts an dem Synodenbeschluss geändert.
4.3.3.) Und noch als letzter Punkt die Doppik, also die Doppelte Buchführung. Ein zentrales Ziel des Neuen Kirchlichen Finanzwesens ist die Übersicht über die Vermögensentwicklung, ob man am Endes des Jahres mehr Vermögen hat als am Anfang.
Um die Vermögensbewegungen darstellen zu können, muss man zuerst eine Vermögensaufstellung des Besitzes einer Gemeinde erarbeiten: Inventurlisten. Unterschiedliche Abschreibungssätze je nach Lebenszeit des Beamers, des Dienstwagens oder des Gemeindehauses errechnen dann jährlich die Abnahme oder Zunahme des Vermögens und sollen vor allem bei Gebäuden daran erinnern, dass nur Investitionen den Gebäudewert erhalten. Weil nämlich einige Gemeinden nicht die notwendigen Gelder in die Substanzerhaltung ihrer Gebäude gesteckt haben, wurde zwangsweise eine Substanzerhaltungsrücklage eingeführt.
Für eine Kirche, die man auf zweihundert Jahre Lebensdauer berechnete, muss eine Gemeinde ein halbes Prozent des Wertes jährlich zurücklegen, damit man nach zweihundert Jahren diese Kirche wieder neu bauen kann. Für ein Pfarrhaus mit einer erwarteten Lebensdauer von 50 Jahren zwei Prozent. Für eine Garage 10 Prozent. Konsequenz: Für manche Gemeinden war diese Belastung höher als ihr gesamter Gemeindehaushalt.
Die Absurdität dieses Systems zeigt sich an folgendem: Ihr Onkel vererbt Ihnen ein Haus im Wert von 2 Millionen Euro. Sie sind reich und glücklich. Ein Haus ist nach 50 Jahren nichts mehr wert. Um den Wert Ihres Vermögens zu erhalten, müssten sie also 50 Jahre lang jedes Jahr 40 000 Euro auf die Sparkasse bringen. Sie verdienen nur 50 000 € ? Was für ein armer Hund sind sie auf einmal. Knapp über Sozialhilfeniveau.
So wurden gerade reiche Gemeinden mit vielen Gebäuden auf einmal durch den Zwang zur Substanzerhaltungsrücklage ganz arm gerechnet und mussten dann logischerweise Personal entlassen, Pfarrstellen kürzen usw.
Ich vermute, dass der eine oder andere jetzt innerlich kocht: So ein Unsinn. Für die paar tausend Euro, über die unsere jährlich Gemeinde frei entscheiden kann, ein solcher Aufwand! Da ist der ehrenamtliche Aufwand im Presbyterium ja teurer als die zu verteilenden Mittel. Kirche ist doch keine Firma!
Nachher ist man immer schlauer. Aber fast alle Kollegen haben sich nicht um Verwaltung gekümmert, so dass ein solches System tatsächlich beschlossen werden konnte. Mit immer wieder neuen Änderungen, damit es wenigstens halbwegs praktikabel ist.
Und die wichtigste und traurige Konsequenz neben den zig Millionen, die die Umstellung gekostet hat und immer noch kostet: Wo früher jeder Presbyter und Pfarrer mitreden und mitentscheiden konnte über die Veränderungen im Haushalt, da wird plötzlich alles so kompliziert, dass viele Presbyter und viele Theologen sich nicht mehr damit beschäftigen wollen: Die Entwürfe der Verwaltung werden lediglich noch abgenickt. Auch so wurde Verwaltung zu einem Leitungsgremium.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich nach vielen bitteren Erfahrungen mit NKF und der Einführung von Doppik Ihnen nicht eine ausgewogene Beurteilung dieses Programms vorzulege. Das müssten andere machen. Ich kann Sie nur warnen vor den Konsequenzen, die wir im Rheinland erlebt haben und die teuer und nutzlos sind.
4.4.) IT System
Noch ein letzter Punkt, den ich nur als Warnung anreissen will, weil er inzwischen glücklicherweise gestoppt wurde:
Träume von einem neuen landeskirchlich einheitlichen IT System
Glücklicherweise geplatzte Träume, aber diese Träume haben zwei Landessynoden überstanden, mit fast vollständige Mehrheit der Synode. Erst dann kam die Ernüchterung:
Die Verwaltungsleute hatten das Ziel ausgegeben: Man bräuchte ein einheitliches landeskirchenweites IT System mit einheitlicher geschützter Hardware vom Diensthandy des Pfarrers, vom IT System jedes Gemeindeamtes bis zum IT System kirchlicher Diakonischen Werke und Einrichtungen, wie Krankenhäuser und dem LKA. Ohne solchen professionellen Schutz bekämen wir keine Daten mehr von den Einwohnermeldeämtern.
Einen Moment Einhalt: Am Beispiel eines Warenhauskonzerns: Verkauf einer Tischdecke. Das interessiert den Verkaufsleiter, die Einkaufsabteilung muß in Asien bestellen, der Einkäufer analysiert die Tischdecken unterschiedlicher Lieferanten, die Produktprüfung untersucht auf Schadstoffe, die Werbeabteilung zieht ihre Konsequenzen, das Rechnungswesen verändert die Zahlen und der Vorstand freut sich über ein gelungenes Produkt. Alles hängt mit allem zusammen: Die notwendige Voraussetzung dafür ist ein umfassendes IT System. Gibt es das auch in der Kirche? Welche Daten von Ihrer Arbeit in der Gemeinde oder gar von ihrem Handy müssen weitergeben werden nach oben? Einmal jährlich die Statistik, dann die besonderen Kollekten, ihre Fahrtkosten. Und das war es! Warum soll nicht die Gemeinde Sonnborn ihr eigenes System haben und das Diakoniewerk Remscheid ein anderes?
Doch die Synode vertrauten damals noch den Verwaltungsleuten: Zuerst beschloss man, einmal jährlich zehn hochbezahlte IT Experten in der Landeskirche anzustellen für Entwurf und Planung, Auswahl und Prüfung der Systeme, Veränderungen. Und für genaue Planungen, wie dieses System einmal aussehen soll (D.h: Man baut ein riesiges Fundament, und erst wenn das steht, überlegt man sich, was für eine Kirche oder ein Haus darauf stehen soll.)
Dann sollte die landessynodale Entscheidung fallen und dann Umsetzung in den Landeskirchenamt, Kirchenkreisen, Gemeinde durch den Kauf dieses Systems. Wer die schnellen Abfolgen neuer Systeme im IT Bereich und die Langwierigkeit der Entscheidungen kirchlicher Gremien kennt, der weiss, dass alles schon veraltet ist, wenn der letzte Kirchenkreis sein System gekauft hat. Aber zig Millionen € sollten dafür aufgewendet werden.
5.) Kirche ist keine Firma: Kirchliches Kapital sind die Ehrenamtlichen und kirchliche Gebäude und Mitarbeiter dienen nicht der Gewinnmaximierung.
Eine solche Erkenntnis hat man in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt und hat im Grund für die Zukunft der Kirche auf das falsche Pferd gesetzt.
Langsam setzt sich aber die Einsicht durch, dass Kirche von unten, von den Ehrenamtlichen, von den Pfarrerinnen und Pfarrern, von den Presbyterien und von den Gemeinden aufgebaut wird. Und nicht von tollen Ideen von oben. Wo brennen denn elf Jahre nach der Kirche der Freiheit wirklich Leuchtfeuer? Doch nicht in bundesweiten Galaveranstaltungen, sondern in einzelnen leuchtenden Gemeinden!
Aber etwas Optimistisches zum Schluss, das Sie ermutigen soll, nicht alles so hinzunehmen, sondern sich frühzeitig zu wehren und die Interessen ihrer Ortsgemeinden zu wahren:
- Im Rheinland wird jetzt manches rückabgewickelt und vor kurzem wurde wohl die Parole ausgegeben: 30 Prozent sparen in den Verwaltungen.
- Ein inzwischen pensioniertes Mitglied der Kirchenkonferenz hat mir vor einigen Monaten ungefragt gesagt, er hätte früher doch vieles zu sehr aus kirchenleitender Perspektive gesehen.
- Umdenken ist überall angesagt, gerade weil die Kirchenmitgliedschaftsumfragen unübersehbar ergeben haben, welche zentrale Bedeutung für Gemeindeglieder die Ortsgemeinden haben.
Es tut mir leid, dass die Informationen aus dem Rheinland manchmal wie Satire geklungen haben. Es war aber manchmal wirklich so. Wer darüber genau nachdachte, was in der Synode beschlossen wurde, hat sich oft an den Kopf gefasst. Aber leider haben die Kollegen da zu wenig rechtzeitig hingeschaut, weil Verwaltung sie nicht interessierte.
Wenn Sie einige Aspekte des Referates noch einmal in trockenerer und wissenschaftlich angemessenerer Form nachlesen möchten, dann schauen Sie unter „Pfarrerblatt 2012“ im Archiv nach und googeln meinen Namen: „Kippt die presbyterial - synodale Ordnung der EKiR“ oder lesen den Aufsatz im Buch von Gisela Kittel „Kirche der Reformation?“ „Wie das Gemeindeprinzip in der EKiR ausgehebelt wurde“. Auf meiner homepage www.manfredalberti.de können sie auch Aufsätze zu einzelnen Spezialfragen finden.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel kritische Aufmerksamkeit für die Veränderungsbemühungen in Ihrer Landeskirche.