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Der Aufsatz "Bestattungskultur im Wandel" ist abgedruckt in der theologischen Zeitschrift

Thema: Gottesdienst 32.2010

 

im Netz zu finden in:  www.gottesdienst-ekir.de / Materialien / Thema: Gottesdienst / Heft 32.2010 Seite 64 bis 81

 

(Da ich inzwischen pensioniert bin, bin ich gerne bereit, diesen Vortrag in Gemeindegruppen und Gemeindekreisen zu halten und über Sterben, Tod und Bestattungsfragen zu diskutieren. Gegen  Fahrtkostenerstattung.)

 

Manfred Alberti

 

Bestattungskultur im Wandel

 

(Vortrag, gehalten bei der Tagung „Bestattungskultur im Christentum und Buddhismus heute“ in der Evangelischen Akademie im Rheinland, Bonn - Bad Godesberg, 26.-29.8.2010)

 

 

0. Vorstellung

 

Zu einer Gedankenreise durch diesich wandelnde Welt der christlichen Bestattungskultur möchte ich Sie gern einladen und mitnehmen. Diese Welt sehr vielgestaltig. Meine Erfahrungen beziehen sich naturgemäß vor allem auf einen kleinen
Ausschnitt: Ich bin seit 33 Jahren Pfarrer in Wuppertal, in der Gemeinde Sonnborn mit zwei Friedhöfen, und bin ebenso lange auch im Synodalen Friedhofsausschuss Elberfeld bzw. Wuppertal, den ich seit etwa 20 Jahre leite. In diesem Ausschuss treffen sich vier- bis fünfmal im Jahr die Verantwortlichen der evangelischen Gemeinden für Friedhofsfragen, Friedhofsleiter, Verwaltungsmitarbeiter und Friedhofskirchmeister, zur Diskussion der Probleme und Entwicklungen
der Friedhöfe.

 

Wuppertal ist abgesehen von Berlin die Stadt in Deutschland mit den meisten Friedhöfen: 52 konfessionelle Friedhöfe, reformierte, lutherische, evangelische, katholische, freikirchliche und jüdische Friedhöfe bilden zusammen mit einem einzigen kommunalen Friedhof ein engmaschiges Netz von Friedhöfen über die ganze Stadt. Es ist ein wichtiger Teil der
Lebensqualität älterer Menschen in Wuppertal, dass sie mit einem Spaziergang ihren Friedhof aufsuchen können: 53 grüne Oasen in der Stadt.

 

Damit diese Friedhofskultur langfristig gesichert werden kann, muss man in Jahrzehnten, eigentlich in Jahrhunderten denken. Deshalb beschäftige ich mich seit langem mit dem Wandel der Friedhofskultur, immer in der Hoffnung, einige Tendenzen für die Zukunft erkennen zu können.

 

 

1. Wandel der Lebensverhältnisse

 

Da ich heute nicht auf alle Facetten der Friedhofs- und Bestattungskultur in Vergangenheit und Gegenwart eingehen kann, beschränke ich mich auf einige mir wichtige Aspekte. Vier Punkte im Wandel der allgemeinen Lebensverhältnisse
scheinen mir entscheidend zu sein für die Entwicklungen im Friedhofswesen:

  • die Privatisierung der Lebensverhältnisse

  • die zunehmende Mobilität

  • die wachsende Geldknappheit

  • sich verändernde religiöse Bindungen

 

1.1 Privatisierung der Lebensverhältnisse

 

Ein Teil meiner Gemeinde besteht aus einer Siedlung, die in diesen Tagen ihr siebzigjähriges Bestehen feiert. In Nachbarschaftshilfe wurden vor allem nach dem Krieg die meisten Häuser, die Kanalisation und ein großer Spielplatz
gemeinsam gebaut. Damals waren alle gleich arm, um diesen Siedlungsplatz zu bekommen, und sie hatten alle relativ viele Kinder. Jeder kannte jeden mit seinen Problemen und mit seinen Erfolgen. Man lebte zusammen, feierte zusammen und unterhielt sich täglich über den Gartenzaun.

 

Vergleiche ich das, was ich aus Erzählungen von damals gehört habe, mit der heutigen Situation, dann sehe ich einige gravierende Veränderungen:

  • Mit dem Auto hat man seine Lebenswelt erweitert. Die Nachbarschaft hat keinerlei Bedeutung mehr. Nachbarn sind eher Gegner. Statt niedriger Zäune gibt es oft große Hecken. Man lebt isoliert für sich allein.

  • Nachbarschaftshilfe ist nicht mehr nötig. Man will möglichst unabhängig von der Nachbarschaft leben.

  • Das Fernsehen erübrigt Unterhaltungs-, Informations- und Kontaktbedürfnis mit Nachbarn und Verwandten; auch am öffentlichen Leben – wie Gemeindegruppen oder der VHS – wird kaum noch teilgenommen.

  • Heute schafft man sich Ansehen durch die Zurschaustellung eigener Prestigeobjekte wie Auto und Hausausbau. Stärke wird demonstriert, Schwächen werden möglichst verborgen gehalten.

  • Tod und Trauer werden, wie überhaupt Religion und Glaube, als Phänomene der Schwäche erlebt.
    Deshalb finden sie nicht öffentlich, sondern in der Verborgenheit des Privaten statt.

 

1.2 Mobilität

 

  • Die Mobilität durch das eigene Auto entgrenzt den alltäglichen Lebensraum. Man ist nicht mehr auf die Nachbarn angewiesen.

  • Die Arbeitswelt zerstreut durch ihre Spezialisierungs- und Qualifizierungsanforderungen die Generationen normalerweise deutschlandweit, vielfach in alle Welt. Man findet nach dem Studium nur selten eine Arbeit in der eigenen Heimat.

  • Heimatverbundenheit als stabiler Grundstock des Selbstbewusstseins verliert an Bedeutung. Heimatbewusstsein wird eher negativ angesehen. Bis auf die Herkunft aus wenigen Metropolen haftet ihm der Geruch des Provinziellen an.
    „Ich komme aus Düsseldorf“ klingt besser als: „Ich komme aus Wuppertal.“

 

1.3 Geldknappheit

 

Sterbegelder und Zuwendungen der Kassen bei Sterbefällen gibt es nicht mehr. Die Geldknappheit nimmt bei großen Teilen der Bevölkerung gravierend zu. Angesichts fester, vermeintlich notwendiger großer Ausgaben für die Imageträger Haus, Auto und Urlaub, die oft durch Schuldenmachen finanziert werden, sind Reserven für Bestattungen heute vielfach nicht mehr vorhanden. Das vorhandene Geld wird je nach gefühlter Wichtigkeit verteilt. Die Bestattung genießt da bei vielen keinen Sonderstatus mehr.

 

1.4 Veränderte religiöse Bindung

 

  • Noch ist die Zugehörigkeit zu Kirche und Glaube erstaunlich stabil. Ausgetretene reklamieren vielfach, dass sie ihren Glauben behalten hätten. Als Atheist outet sich kaum einer öffentlich.

  • Das Bewusstsein für den Glauben basiert allerdings weitgehend auf einem sehr schmalen Terrain. Wissen um die fundamentalen Grundlagen des christlichen Glaubens ist kaum noch vorhanden.

  • Das frühere stabile Bewusstsein einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession: „Ich bin ein Reformierter!“ ist heute sehr selten geworden. Selbst die Unterschiede zwischen Evangelisch und Katholisch verschwimmen für viele Gläubige im Nebel oder reduzieren sich auf: „Die Katholiken haben den Papst.“

  • Glaube setzt sich wie ein Flickenteppich aus sehr verschiedenen Elementen unterschiedlicher Religionen und Kulturen zusammen. Der Glaubende selbst sieht sich als Herr über seinen Glauben, den er sich eigenverantwortlich
    zusammenkomponiert. Die reformatorische Betonung der Eigenverantwortlichkeit in der Glaubensgestaltung in Bindung an die Heilige Schrift hat sich verselbstständigt zu einer Eigenverantwortlichkeit, die sich über Bibel und Bekenntnis, die Grundlagen christlichen Glaubens, erhebt.

  • Wenn ich allerdings mich selbst als die Autorität meines Glaubens sehe, dann fällt die Autorität eines Gegenübers weg. Gerade im Umgang mit Sterben, Tod, Ewigem Leben und Jenseits erweist sich dieser Mangel als fatal: Ein
    Glaube, der seine Grundlagen in mir selbst hat, kann mir nicht helfen, wenn ich selbst auf dem Spiel stehe. Trösten kann mich nur ein Gott, der mir von außerhalb meiner selbst begegnet.

 

 

2. Wandel der Bestattungskultur

 

2.1 Rückblick: Traditionelle dörfliche Bestattungskultur

 

Um die entscheidenden Punkte des Wandels der Bestattungskultur deutlich machen zu können, möchte ich Sie einen Moment lang in die bis vor fünfzig Jahren lebendige traditionelle Bestattungskultur vor allem im dörflichen Milieu
entführen. Trotz vieler Variationen ist das Muster weitgehend gleich.

 

Ein Bauer stirbt. Seine Familie versammelt sich um sein Sterbebett. Nachbarn kommen und nehmen Abschied. Der Pfarrer wird geholt, um eine letzte Andacht zu halten und ihm noch einmal das Abendmahl zu geben.  Der Tote wird von der Familie gewaschen, mit seinem besten Anzug eingekleidet und dann in seinem Bett aufgebahrt. Der Nachbarsbauer auf der einen Seite bringt im ganzen Dorf die Nachricht herum, dass der Bauer X gestorben sei.
Seine Frau übernimmt für die nächsten Tage die Verpflegung der Trauerfamilie. Der Nachbarsbauer auf der anderen Seite kümmert sich in den nächsten Tagen um die Stall- und Feldarbeit des verstorbenen Bauern. Der Dorfschreiner fertigt einen Sarg und der Totengräber gräbt das Grab in der Familiengruft. Die Trauerfamilie empfängt in
dichter Reihe die Kondolenzbesuche, zu denen sich fast die ganze Dorfgemeinschaft angesagt hat.

 

Der Tag der Bestattung beginnt mit der Aussegnungsfeier im Haus durch den Pfarrer, dann ziehen Familie, Verwandte und Nachbarn unter Teilnahme des ganzen Dorfes zur Kirche zum Bestattungsgottesdienst. Ein langer Zug schwarz gekleideter Menschen bewegt sich danach durch das Dorf zum Friedhof. Alle Dorfbewohner gehen mit oder schauen zumindest zu. Nachbarn, Freunde und Verwandte tragen den Sarg auf dem Friedhof und lassen ihn zu Grabe. Nach den Entlass- und Segensworten des Pfarrers sprechen der Ortsbauer und die Vorsitzenden aller Vereine, in denen der Bauer
Mitglied war. Dann steht die Familie am Grab und nimmt die schier endlose Reihe der Kondolenzen entgegen. Anschließend gibt es im Wirtshaus die Raue, das Zusammensein nach der Trauerfeier. Gelöst durch immer mehr verkonsumierten Alkohol entwickelt sich aus dem traurigen Anlass noch eine fröhliche Feier. Diese Fröhlichkeit ist
keine bedauerliche Ausnahme, sondern der normale programmierte Ablauf mit dem Signal für alle Trauernden: Die allertiefste Trauerphase ist zu Ende, das normale Leben muss weitergehen. Allerdings genießen die Trauernden noch einen Schutzraum: Ihre schwarze Kleidung zeigt die Verletztheit durch den Tod. Die Witwe trägt noch Jahre lang schwarz, Kinder und Geschwister kürzere Zeiten. So werden die Trauernden geschützt und haben Zeit, ins normale Leben zurückzufinden oder sich ein neues aufzubauen.

 

Konzentrieren wir uns auf einige Aspekte dieses durchaus üblichen und normalen Geschehens rund um Sterben und Tod:

  • Sterben und Tod sind eine öffentliche Angelegenheit. Die ganze Gemeinschaft nimmt Anteil. Frühere Distanzen und Feindschaften verlieren oft für die Trauerzeit ihre Bedeutung.

  • Viele Nachbarn und Verwandten sind durch traditionelle Verpflichtungen mit in die Prozesse des Abschiednehmens und der Bestattung eingebunden.

  • Die Familie ist von den normalen täglichen Verpflichtungen befreit, um sich ganz dem Trauerprozess hingeben zu können.

  • Das Tragen schwarzer Kleidung schafft einen Schutzraum, der von allen zu respektieren ist.

  • Die Öffentlichkeit der Trauer gibt dem Verstorbenen und seiner Familie Gewicht und Ansehen in der dörflichen Gemeinschaft.

 

Aber der von heute aus gesehen vielleicht wichtigste Aspekt der früheren Trauerkultur ist meines Erachtens folgender: Bei einem Todesfall war früher alles festgelegt. Sicher wird das im städtischen Milieu etwas anders ausgesehen haben, aber im dörflichen Milieu war, bei mancherlei Variationen, ganz klar: Jeder Nachbar hatte seine Aufgabe. Die Familie selbst musste wenig tun und organisieren. Von vornherein war geregelt, wer was tun musste – und man konnte sich darauf verlassen. Das aber bedeutete: In der Phase der schmerzhaften Umorientierung brauchte man keinerlei Entscheidungen zu treffen. Alles ging verlässlich seinen vorgezeichneten Gang.

 

Dieser Blick in die Vergangenheit macht sehr deutlich, was sich heute geändert hat. Doch bevor wir uns der heutigen Bestattungskultur zuwenden, möchte ich noch auf einen Aspekt hinweisen, der eher die städtische Bestattungskultur
betrifft.

 

2.2 Ein Aspekt städtischer Bestattungskultur im Rückblick

 

Bestattung hat viel mit dem Status von Menschen zu tun. In den Formen und Vollzügen der Bestattungskultur vergewisserten sich Menschen, wer sie sind, welche Bedeutung sie haben und wer ihre Familie ist. Das Ansehen spiegelte sich in Zahl und Rang der Trauergäste, die Trauerpredigt musste ein möglichst gutes Bild des Verstorbenen und seiner Familie zeichnen. De mortuis nihil nisi bene: Über Verstorbene wird nur gut gesprochen. Dass sich die Trauergäste hinzugedacht haben, was ihnen darüber hinaus jeweils bekannt war, diente der Wahrheit und der
seelischen Hygiene.

 

In städtischer Kultur fand diese Suche nach Status und Selbstbewusstsein noch einen anderen Ausdruck: das Protzen mit Grabmalen. Die große Familiengrabstätte an prominenter, teurer Stelle des Friedhofs war für alle Besucher ein
sichtbares Zeichen für den sozialen Rang der Familie. Man sonnte sich im Glanz des dargestellten Reichtums und wähnte sich dem Ansehen und den Verdiensten der hier bestatteten Vorfahren ganz nah. Man war ein Teil von ihnen und so bedeutend wie sie. Deshalb ließ man es bei der prunkvollen Grabgestaltung an nichts fehlen, ein Abglanz traf einen selbst schon im Leben. „Millionenallee“ wird ein Weg auf dem Friedhof in Wuppertal-Unterbarmen genannt, auf dem sich reiche Wuppertaler Fabrikantenfamilien riesige Denkmäler gebaut haben, mit überlebensgroßen Statuen, mit einem monumentalen Abbild der Sphinx, mit begehbaren Grabkammern, Mausoleen oder mit mehrere Meter hohen Grabsteinen aus kostbarsten Materialien – Imagepflege an einem prominenten öffentlichen Ort, den alle Stadtbürger mehr oder minder oft besuchten; Imagepflege, die durch ihre Öffentlichkeit auf dem Friedhof wirksamer war als eine aufwändige Gestaltung des eigenen in einem Park liegenden Wohnhauses.

 

Weit entfernt von dieser ausgeprägten Selbstdarstellung, aber dennoch nicht unerheblich war die Bedeutung einer Familiengrabstätte für das Selbstbewusstsein von Menschen. Hier ist ein Ort, wo die Großeltern liegen und wo die
Eltern irgendwann bestattet werden. Die Großeltern und Eltern wenden viel Mühe auf für die Gräberpflege, damit man sich ihres Anblickes nicht schämen muss. Auch wenn das nur wenig ins öffentliche Bewusstsein tritt: Für viele Menschen war – und ist z.T. noch – eine Familiengrabstätte Teil ihrer Identität, Teil ihrer Heimat: An diesem Ort sind die, die ich nicht mehr leibhaft erleben kann. Da ist der Ort ihres Gedächtnisses. Da bin ich ihnen und ihrem kleinen Stück vom Himmel geheimnisvoll nah. Da gehöre ich hinzu, da gehöre ich hin – ein wichtiger Teil meiner familialen und persönlichen Identität.

 

2.3 Bestattungskultur heute: vier grundsätzliche Veränderungen

 

Wenn ich auf Wuppertal schaue: Das war einmal. Das Familiengrab dient kaum noch der Familienidentität und dem Familienzusammenhalt. Immer mehr Menschen geben ihre Familiengrabstätte zurück, große Grabstätten werden verkleinert und selbst die Grabstätten bedeutender Fabrikanten verfallen zusehends. Immer größere Flächen müssen als Rasenfläche zusätzlich vom Friedhof gepflegt werden.

 

Was hat sich verändert? Ich beschreibe vier in meinen Augen gravierende grundsätzliche Veränderungen der Bestattungskultur.

 

2.3.1 Von der öffentlichen Angelegenheit zur Privatsache

 

Wurde früher und teilweise auch noch heute im dörflichen Milieu besonders deutlich, wie sehr eine Bestattung eine Angelegenheit des ganzen Dorfes und nicht nur einer Familie ist, so sind in den letzten dreißig Jahren in der
städtischen Kultur, wie ich sie in Wuppertal erlebe, fast sämtliche öffentlichen Akzente aus der Bestattungskultur gewichen. Die Bestattung wurde zur alleinigen Angelegenheit der Familie. Und die braucht und holt sich dazu Hilfen vom Profi: dem Bestatter – inzwischen ein anerkannter Lehrberuf. (Die Hochschulausbildung wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.)

 

An einigen Anzeichen kann man deutlich erkennen, wie die Bestattung ganz in den privaten Bereich gerückt ist:

 

Anders als vor dreißig Jahren gibt es heute so gut wie keine Reden mehr von Vertretern des Betriebes. Selbst bei Menschen, die aus dem aktiven Arbeitsleben gerissen wurden, tauchen höchstens noch ein paar Kollegen bei der Bestattung auf. Kein Chef hält mehr eine Rede am Grab, wie es früher selbstbei Ruheständlern gang und gäbe war. Und betriebliche Traueranzeigen findet man immer seltener.

 

Dass der Schwiegersohn des Verstorbenen auf eine Beerdigung morgens früh um 9.00 Uhr drängt, weil er möglichst früh wieder an seinem Arbeitsplatz erscheinen soll, macht deutlich, wie wenig Respekt in der Arbeitswelt der Trauer der Angehörigen gezollt wird. War es früher eine Selbstverständlichkeit, dass man auch bei Bestattungen von Onkeln
und Tanten und Großeltern von der Arbeit freigestellt werden konnte, so sind solche Beurlaubungen heute nur noch für allerengste Angehörige wie Eltern oder Kinder möglich. Andere bitten häufigvergeblich um einen Urlaubstag, um an einer Bestattung teilnehmen zu können.

 

Sehen Sie in der Großstadt einen ganz schwarz gekleideten Menschen, dann können Sie, wenn es nicht ein Mitglied einer Jugendszene ist, davon ausgehen: Er ist auf dem Hin- oder Rückweg von oder zu einer Beerdigung. Außerhalb dieser Wege trägt niemand mehr Schwarz. Selbst schwarze Krawatten findet man im Arbeitsleben nur an den Beerdigungstagen. Selbst engste Angehörige machen nicht mehr durch ihre schwarze Kleidung andere darauf aufmerksam, dass sie durch den Tod eines nahen Angehörigen betroffen und deshalb besonders verletzlich sind: Die Arbeitswelt will nicht gestört werden durch solche Privatereignisse. Gefühle wie Trauer oder Schmerz stören und haben in der Arbeitswelt nichts zu suchen. Die harten Regeln des Arbeitslebens verlangen, dass Trauer ein privates Gefühl bleibt und nicht störend sichtbar wird.

 

Trauernde machen sich heute nicht mehr erkennbar. Nicht nur Menschen im Arbeitsleben verzichten auf das Signal der Trauerkleidung, auch nicht mehr berufstätige Witwen oder Witwer kleiden sich häufig schon am Tag nach der Beerdigung nicht mehr in Schwarz. So kann auf ihre Trauer auch von gutwilligen Menschen keine Rücksicht genommen werden. Mir sagte einmal eine Frau: „Ich habe das Gefühl, die anderen stört mein Schwarz. Sie möchten nicht an Tod und Sterben erinnert werden. So lass ich‘s lieber.“

 

Der Tod ist Störenfried in einer Gesellschaft, die auf die Optimierung aller Betriebsabläufe größten Wert legt. Deshalb wird der Tod in seiner Natürlichkeit nicht akzeptiert, sondern verdrängt. Eine öffentliche Bedeutung wird ihm nicht zugestanden. Er ist nur noch Privatsache; der einzelne soll damit allein zurechtkommen.

 

So muss die Gesellschaft ihm auch keine finanziellen Hilfen mehr zukommen lassen, die ihm einen der öffentlichen Darstellung fähigen Umgang mit dem Tod erlauben würde. Wenn niemand in der Verwandtschaft Geld für eine „anständige“ Beerdigung hat: die Anspruchsrechte auf eine würdige oder, wie es früher im Gesetz hieß, „ehrenhafte“ Bestattung sind immer weiter heruntergeschraubt worden. Wenn gar das Ordnungsamt eine Bestattung anordnen muss, weil niemand da ist oder sich niemand zur Übernahme der Kosten bereit erklärt hat, dann wird der Verstorbene, selbst wenn er Millionär war, ohne eine Trauerfeier ohne Totenhemd nackt im Sarg verbrannt und seine Urne anonym beigesetzt. Verwaltungsgerichte haben der Stadt Wuppertal ein solches Vorgehen zwingend vorgeschrieben. Selbst eine vorhandene Grabstätte darf nicht benutzt werden. Die Stadt hat kein Recht, sich später ihre Kosten aus dem Erbe wiederzuholen.

 

Der Tod ist Privatsache: Die Gesellschaft, wir alle, haben keinerlei Verpflichtung, dass ein Mensch menschenwürdig bestattet wird. Dafür muss er heute selbst sorgen.

 

Die Städte haben sich in ihrer Finanznot die neue Vielfalt heutiger Bestattungskultur zu Nutze gemacht: Wo die Regeln einer Normalbestattung weggefallen sind, entscheiden sich die Kommunen für die einfachste und preiswerteste
Variante.

 

Das gilt allerdings auch für alle Angehörigen: Wo die allgemein akzeptierten quasi öffentlich gültigen Regeln weggefallen sind, haben Menschen die Freiheit, autonom zu entscheiden. Eine breite Vielfalt unterschiedlichster Angebote steht zur Verfügung.

 

2.3.2 Bestattung als freier Markt für Bestatter, Friedhöfe, Prediger

 

Wenn ein Mensch oder seine Angehörigen genügend Geld haben, tut sich ihnen einBestattungsparadies auf. Der freie Markt der Anbieter ist ein Eldorado für neue Geschäftsideen. Rund um den Tod expandieren eine Vielzahl von Gewerbezweigen mit immer neuen kreativen und manchmal auch lukrativen Einfällen. Farbige Särge, auch zum Selbstzimmern und Selbstbemalen, aufwändige Sargdekorationen in der Kapelle, teure Anzeigen mit Hintergrundbildern, repräsentative Urnen, Steinmetze, die jedes Hobby in Stein meißeln können, z.B. einen Hahn auf das Grabmal des
Vorsitzenden des Geflügelzüchterverbands. Den Einfällen sind kaum Grenzen zu setzen auf dem Markt der Bestattungskultur. Manche Trauerfeier gerät unter der Hand zum Event für den Status der Hinterbliebenen. Freie Redner können dabei viel besser als die Pfarrerin, die einen Gottesdienst gestaltet, den Selbstdarstellungswünschen der Angehörigen nachkommen. Und wenn es eine international agierende Firma für Baumbestattungen schafft,
ihren geschützten Markennamen in dem nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetz unterzubringen, dann wird offenbar, wer die momentanen Gewinner auf dem neuen Bestattungsmarkt sind: die Geschäftsleute, die Sterben und Tod als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben und die die Angst, die Distanz und Verunsicherung der Menschen vor dem Tod in klingende Münze umzusetzen verstehen.

 

Seit die öffentlichen für alle verbindlichen Regeln des Umgangs mit Sterben und Tod, wie sie die dörfliche Kultur sehr prägten, nicht mehr gelten, müssen die Menschen privat alles regeln. In dieser häufig überfordernden Herausforderung stehen ihnen die Bestatter beratend und verkaufend zur Seite. Als erste Berater der Trauernden plädieren sie gern für
eine teure repräsentative Urne. Auf dem Friedhof soll aber dann ein billiges, einfachstes Rasenurnenreihengrab gut genug sein. Geschäftsinteressen prägen eine neue Bestattungskultur.

 

Kaufen bringt einen Mehrwert, nicht nur für den Verkäufer, sondern auch für den Käufer. Baumbestattungen im „Friedwald“ sind gerade „in“. Viel teurer als auf einem normalen Friedhof werden Urnen beigesetzt in einem
großen Wald unter einem Baum, mit 99jähriger Ruhefrist. Für darauf ansprechbare Menschen angereichert mit esoterischen Gedanken zum Naturkreislauf und Asche als Nahrung des Baumes, haben die Baumbestattungen momentan ein modernes Image. Dann kann es passieren, wie ich es selbst erlebt habe bei der Besichtigung eines Friedwaldes bei Kassel, dass trauernde Besucher außerhalb der Öffnungszeiten des Büros auf der Suche nach einer Grabstätte durch ein Labyrinth überall gleich aussehender Bäume irren. Solche Erlebnisse führen die problematischen Aspekte heutiger Bestattungskultur beispielhaft vor Augen:

 

2.3.3 Entscheidungsfreiheit statt vorgegebener Traditionsregeln und Riten

 

Die breite Vielfalt heutiger Möglichkeiten in der Bestattungskultur erfordert von den Angehörigen eine Vielzahl von Entscheidungen. Entscheidungen, die alle relativ schnell getroffen werden müssen, deren Auswirkungen ein Angehöriger aber im Augenblick nicht leicht übersehen kann:

  • Verbrennung oder Sargbestattung?

  • Welche Grabart?

  • Wahlgrab oder Beisetzung im Rasenurnenreihengrab?

  • Welcher Friedhof?

  • Welcher Pfarrer oder Redner?

  • Anzeigen oder nicht?

  • Trauerbriefe?

  • Einladungen zum Kaffeetrinken nach der Trauerfeier?

 

Eine Vielzahl von Fragen müssen die Angehörigen bald nach dem Tod beantworten, wenn der Verstorbene nicht selbst die Antworten durch einen Vorsorgevertrag bei einem Bestatter vorgegeben hat. Kurz nach einem vielleicht überraschenden Tod sind Angehörige in einer emotionalen Stresssituation, die rationales Denken und besonnenes Entscheiden erschwert. Falsche Entscheidungen, die schon bald bedauert werden, sind vorprogrammiert.

Ein Beispiel: 

Ein Ehepaar hatte zuletzt vor einigen Jahren, als es beiden noch gut ging, über die Bestattung
gesprochen. Seit Krankheiten den Tod immer näher vor Augen rückten, wurde dieses Thema sorgfältig umgangen. Als es ihnen gut ging, haben sie sich darauf geeinigt: Wir brauchen kein Grab. Unsere Kinder gehen sowieso nicht hin und dem Überlebenden soll der häufige Gang zum Friedhof erspart bleiben. Wir lassen uns anonym bestatten. Keine
Trauerfeier, kein Grab.

 

Der Mann wird schwer krank. Die Frau pflegt ihn aufopferungsvoll vier Monate lang zu Hause – eine Zeit, in der sich die beiden wieder sehr nahe kommen. Eines Morgens um acht Uhr stirbt der Mann. Nach der Ausstellung des Totenscheins
durch den Hausarzt kommt ein Bestattungsinstitut gegen zehn Uhr und holt den Leichnam ab.

 

Die Frau sitzt wie gelähmt im Sessel und weint. Jetzt wird ihr auf einmal bewusst, was sie vor Jahren beschlossen und festgelegt hatten: keine Trauerfeier, kein Grab. Der Mann ist weg. Jetzt hat sie nichts mehr. Eben noch die aufopfernde Pflege rund um die Uhr, jetzt nur noch Leere. Keine Trauerfeier mit vielfältigen Vorbereitungen, die die nächsten Tage,
die Frist der ersten Trauer, füllen würden, kein Grab, das sie aufsuchen, pflegen und schmücken könnte, wo sie ihrem Mann bewusst nahe ist: nichts, rein gar nichts außer dem Bild auf dem Wohnzimmerschrank.

 

Der Frau fällt es wie Schuppen von den Augen: Wie hätte sie nur früher ahnen können, was sie für ihren Trauerprozess braucht. Man beerdigt den Mann, die Frau, die Mutter und den Vater nur einmal. Man kann das nicht lernen, um es
richtig zu machen. Man kann nicht auf eigene persönliche Erfahrungen zurückgreifen.

 

Früher hätte es für das Ehepaar nichts zu entscheiden gegeben. Alles war festgelegt: Bestattungsfeier, Grab, Ritus. Menschen konnten nichts entscheiden und sie konnten nichts falsch machen. Sie brauchten auch keine persönliche Verantwortung für richtige oder falsche Entscheidungen zu übernehmen. Niemand konnte ihnen später Vorwürfe machen – und auch sie sich selbst nicht.

 

Heute ist das anders. Nicht nur lange vor dem Tod in ganz anderer Lebenssituation kann man ohne Beratung und unüberlegt Entscheidungen treffen, auch unmittelbar nach dem Eintritt des Todes muss viel entschieden werden – mit dem großem Risiko von Fehlentscheidungen. Bis vor einiger Zeit die Kommune dem einen Riegel vorgeschoben hat, mussten manche Friedhöfe auf Wunsch der Angehörigen bis zu zehn Prozent der Urnen, die in Rasenurnenreihen-gräbern beigesetzt waren, in normale Gräber umbetten, die die Angehörigen dann pflegen und betreuen können.

 

Entscheidungsfreiheit entspricht dem modernen Lebensgefühl. Man möchte alles in der Hand haben und nach eigenen Wünschen individuell seine Festlegungen treffen. Entscheidungen über Haus- oder Autokauf, Mode oder Urlaube trifft
man nach umfassenden Beratungen, langem Überlegen und ausführlichen Gesprächen mit vielen Menschen. Fehlentscheidungen sind auch da nicht ausgeschlossen. Entscheidungen über die Bestattung muss man aber oft in kürzester Zeit und in emotional aufgewühlter Stimmung treffen. Fehlentscheidungen sind vorprogrammiert. Glücklicherweise erlaubt das nordrhein-westfälische Bestattungsgesetz keine Bestattung im Garten und keine Urne auf dem Kaminsims. Das Grab auf einem Friedhof kann man in einem Rhythmus, der dem individuellen Verlauf des Trauerprozesses entspricht, besuchen, z.B. am Anfang täglich, später zweimal die Woche und dann nur noch einmal im
Monat. Das Grab auf dem Friedhof erlaubt ein gesundes Abschiednehmen. Das Grab im Garten dagegen und die Urne auf dem Kaminsims hätte man immer vor Augen.

 

Die moderne Entscheidungsfreiheit begünstigt Fehlentscheidungen, die man später bitter bereut. Das es eine Rückkehr zu alten Traditionen nicht wird geben können, kann man nur raten, frühzeitig Entscheidungen treffen: nach umfassender
Beratung nicht nur mit dem Bestatter, der ja seine finanzielle Interessen nicht außen vor lassen kann, sondern auch mit Kindern und Freunden, und nach reiflicher eigener Überlegung. Wenn im Sterbefall rasche Entscheidungen zu treffen sind: keine Experimente! – sondern darauf vertrauen, dass sich Bestattungstraditionen über Jahrhunderte nach den Bedürfnissen der Menschen entwickelt haben. Man kann davon ausgehen, dass diese Bedürfnisse der Trauer, des Abschieds und der Neugestaltung des Lebens relativ stabil sind und sich nicht von einer Generation auf die andere radikal verändern.

 

Eine gravierende andere Entwicklung kann man noch beschreiben:

 

2.3.4 Pflegesicherheit hat Priorität: Kolumbarien und Urnenrasenreihengräber

 

Es sterben heute Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten viel Engagement für die Grabstätten ihrer Angehörigen aufgewandt haben, oft auch mit einem großen Ärger über die ungepflegten Nachbargräber. Die Vorstellung, einst selbst in einer ungepflegten Grabstätte zu liegen, weil die Kinder sich zu wenig um die Grabpflege kümmern, ist diesen Menschen eine solche Schreckensvorstellung, dass sie lieber ganz auf eine pflegebedürftige Grabstätte verzichten. Sie wählen für sich die Bestattung im pflegefreien Kolumbarium oder in der vom Friedhof gepflegten Urnenrasengrabstätte. Bei beiden Formen ist man nicht mehr auf diePflege durch Angehörige angewiesen.

 

Dass die Kinder dieses fehlende Vertrauen spüren und sehr ärgerlich reagieren, erleben viele von denen, die sich für eine solche Grabform entscheiden, ohne mit ihren Kindern darüber frühzeitig gesprochen zu haben. Auch die
Zusicherung der Eltern, man habe doch den Kindern nur Arbeit ersparen wollen, hilft nicht, den Konflikt zu bereinigen, denn die Kinder nehmen die kritische Distanz der Eltern als unausgesprochenen Vorwurf wahr: Ihr werdet euch nicht genügend um uns, d.h. um unsere Grabstätten, kümmern.

 

Die Beisetzung in einer Urnenrasenreihengrabstätte ist keine anonyme Bestattung: Jedes Grab ist durch eine Grabplatte gekennzeichnet und dadurch wieder auffindbar und identifizierbar. Ob – und ggf. wie – man die Grabplatte beschriften muss, hängt von einzelnen Friedhofsordnungen ab; das Spektrum reicht von völliger Freiheit bis zu genauen
Kennzeichnungsvorschriften. Viele Menschen erklären, sie wollten sich anonym bestatten lassen. Dahinter steckt meist, wie soeben dargestellt, die Angst vor mangelnder Pflege. Seit vor ca. 15 Jahren die Evangelische Kirche im Rheinland diese Grabform für evangelische Friedhöfe erlaubte, ist die Zahl wirklich anonymer Bestattungen, die für Wuppertal in einem Sammelgrab neben dem Krematorium in Hagen stattfinden, auf einen Bruchteil der früheren Zahlen geschrumpft:
Ein Bestatter hat alle, die einen auf eine anonyme Bestattung hinauslaufenden Vorsorgevertrag abgeschlossen hatten, angeschrieben; nahezu alle haben geantwortet, dass ihnen das Urnenrasenreihengrab lieber ist als die anonyme Bestattung im Sammelgrab in Hagen.

 

Der Wunsch nach Anonymität im Tode wäre auch kaum erklärlich in einer Welt, in der Statusfragen in Leben und Tod eine bedeutende Rolle spielen. Die Menschen sorgen sich um die Grabpflege. Die muss gesichert sein. Deshalb kaufen sie auch immer mehr individuell gestaltete und mehrmals jährlich bepflanzte Urnengrabstätten, die aber auf Dauer vom Friedhof gepflegt werden. Stand früher bei dem Verkauf von Grabstätten auf den Friedhöfen die Wahl zwischen Reihengrab und Wahlgrab im Vordergrund, so lautet heute die erste Frage, ob es eine vom Friedhof gepflegte Grabstätte sein soll oder ob die Angehörigen selbst die Pflege übernehmen möchten.

 

2.4 De facto: Konservatives Bestattungsverhalten mit im Kern kaum veränderten Riten

 

Fasst man den Wandel der Bestattungskultur zusammen, dann entsteht doch ein sehr konservatives Bild. De facto hat sich das Bestattungsverhalten im Kern wenig verändert: etwas andere Gräber, mehr Verbrennungen als früher, weniger aufwändige Bestattungen in privaterem Rahmen ohne öffentliche Wahrnehmung. Doch der Ritus, der Ablauf des
Abschiednehmens und Bestattens, bleibt ohne größere Veränderungen. Trauerbriefe – Trauerfeier mit Liedern, aber mit erheblich weniger Teilnehmern – Friedhof – schwarze Kleidung auf dem Friedhof – Pfarrerin oder Redner –Raue (Kaffeetrinken). Der christliche Hintergrund muss deutlich bleiben auch bei Ausgetretenen; das „Vaterunser“ gehört auch dann meist dazu.

 

Ich vermute, dass unausgesprochen im Hintergrund bei vielen Menschen ein Gespür dafür vorhanden ist, dass die Bestattungskultur einen riesigen Schatz hilfreicher Erfahrungen bereithält. So gibt es eine verbreitete Skepsis gegen
viele der Ideen, die besonders seit Auftreten der Aidserkrankungen mit vielen jüngeren Sterbenden entwickelt worden sind.

  • Farbige oder selbst bemalte Särge habe ich als Pfarrer nie bei einer Beerdigung gesehen.

  • Das dahinter stehende Anliegen, Bestattungen auch als Abschiedsfest fröhlich feiern zu können, entspricht selten den Wünschen und der Stimmung der Hinterbliebenen, selbst wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sich einen solchen Abschied gewünscht hatte.

  • Friedwaldbestattungen sind trotz der breiten Öffentlichkeits- und Medienpräsenz sehr selten. Sie sind ein Randphänomen, zumal immer mehr normale Friedhöfe mit Waldlagen solche Baumbestattungen zu normalen Preisen ohne den geschützten Begriff „Friedwald“ anbieten.

  • Fast völlig weggefallen sind allerdings die aufwändigen Grabmale. Dienten sie früher alsStatussymbole reicher Familien, so werden heute solche Ziele anders erreicht, z.B. durch eine hohe Präsenz in den Medien, durch Werbemaßnahmen, durch Sponsoring oder durch das Gründen von Stiftungen.

 

 

3. Veränderungen in der religiösen Gestaltung der Bestattung

 

Schauen wir zum Schluss noch auf drei Veränderungen in der christlichen und religiösen Gestaltung der Bestattung.

 

3.1 Bestattung als Seelsorge

 

Der Übergang von der öffentlichen Bestattung zur privaten Trauerfeier wird begleitet von einer anderen Gewichtung des Trauergottesdienstes.

 

Ging es in der öffentlichen Trauerfeier sehr stark auch um die Darstellung eines Lebensweges und das Ansehen eines Menschen in der Öffentlichkeit eines Dorfes oder einer Gemeinschaft, so treten diese Themen auch angesichts der oben
erwähnten Schwierigkeiten seit dreißig Jahren merklich in den Hintergrund. Ein Pfarrer, der über das Leben eines Menschen positiv oder negativ richtete, würde heute Unbehagen oder gar Empörung hervorrufen. Natürlich erwarten Trauernde weiter, dass die Ansprache den Verstorbenen in einem guten Licht erscheinen lässt. Das ist zu verstehen und zu respektieren, solange man sich nicht ungebührlich in Strategien der Selbstdarstellung von Familien oder – oft
konfliktbeladen – von Teilfamilien einspannen lässt.

 

Ein christlicher Trauergottesdienst wird heute vor allem als Begleitung der Trauernden und Verkündigung der biblischen Lebensbotschaft verstanden:

  • Stärkung durch den Trost der christlichen Botschaft

  • Verkündigung der wesentlichen Glaubensaussagen in Bezug auf das Sterben, den Tod und die Ewigkeit des Reiches Gottes

  • Anleitung, das gelebte Leben mit all seinen Höhen und Tiefen im Vertrauen auf Gottes vergebende Gnade zu akzeptieren

  • Verstärkung der Aspekte des Lebens, auf die man mit Dankbarkeit zurückblicken kann

  • Ermutigung der Trauergemeinde angesichts der durch den Tod hervorgerufenen Verunsicherungen und Ängsten

  • Begleitung der Trauernden auf dem letzten Weg des Verstorbenen.

 

Der religiöse Aspekt ist be Bestattungen wieder wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt  ganz anders als bei Trauungen, die zunehmend als glanzvoller Even ohne religiöse Bedeutung verstanden werden. Die Kasualie
„Bestattung“ hat mitsamt dem vorausgehenden Trauergespräch und eventuellen Nachgesprächen einen starken seelsorglichen Akzent bekommen. Dazu gehört natürlich, dass die Person und Persönlichkeit des Verstorbenen einen angemessenen Platz in der Trauerrede und den Gebeten erhält. Eine vorwiegend exegetisch-kerygmatische Predigt
wäre unangemessen.

 

3.2 Bestattung als Ankerpunkt der Religiosität

 

Bei der Bestattung zeigt sich immer deutlicher eine Stärke des christlichen Glaubens: das Angebot einer verlässlichen Herberge, deren Stabilität und Schutz nicht von subjektiven Überlegungen und Erfahrungen abhängig ist. Die Initiativen von vor ca. dreißig Jahren, die Gestaltung von Trauerfeiern in die Hand der Angehörigen zu legen, haben so gut wie
keine Spuren hinterlassen. Bei der Auseinandersetzung mit dem Tod brauchen und schätzen die Menschen die Begegnung mit der „fremden“ Autorität des Wortes Gottes. Die Erfahrung des Todes bedroht, berührt zumindest die Statik der eigenen Denkgebäude. Mag auch für die Orientierung im Alltag ein Patchwork-Glaube genügen, so braucht
es angesichts des Todes mehr: dass eine Wirklichkeit angesagt und bezeugt wird, die außerhalb von mir gründet und unabhängig von mir gültig ist. Selbst bei freien Rednern für die Bestattung von Menschen, die keiner Kirche angehören, finden sich meist christliche Elemente wie Bibelworte oder das Vaterunser – sicher nicht ohne Wunsch oder Zustimmung der Angehörigen.

 

3.3 Aussegnungen und Notfallseelsorge

 

Fast völlig weggefallen sind zumindest im städtischen Bereich die Hausabschiedsfeiern, die Aussegnungen. Selten, dass eine Familie dieses liturgische Ritual des Abschieds von einem Verstorbenen wünscht.

 

Sehr häufig dagegen werden von Menschen aller Konfessionen und Konfessionslosen die Dienste der Notfallseelsorge in Anspruch genommen. Die Hilfe über die ersten Stunden des seelischen Chaos und des Zusammenbruchs des ganzen
Lebensgebäudes nach dem plötzlichen Tod eines nahen Angehörigen ist für viele Menschen von enormer Wichtigkeit. Notfallseelsorger, die in solchen Situationen ein kühlen Kopf und ein ruhiges Herz bewahren, tun einen wichtigen Dienst, indem sie Menschen für einige Stunden begleiten, bis die Wege für die nächsten Stunden und Tage geebnet sind. Der flächendeckende Aufbau der Notfallseelsorge seit 1995 im ganzen Rheinland dürfte von großer Wichtigkeit für die
Akzeptanz der Kirche in unserer Gesellschaft sein. Die Kirche ist dort in der Not präsent, wo alle anderen keine Hilfe bieten können. Die Kirche hat damit die Bestattungskultur als Lebenshilfe wieder ausgeweitet in den Bereich unmittelbar nach dem Tod: dorthin, wo früher die Aussegnung stattfand.

 

 

4. Zukunftsprognosen

 

Wie wird es weitergehen mit der Bestattungskultur? Ein Himmelreich für den, der das weiß! Natürlich weiß das niemand genau. Und kaum einer wagt eine Prognose, gerade weil die Zeiträume, über die hier nachgedacht werden muss,
Jahrzehnte umfassen. Wissenschaftlich haltbare Prognosen gibt es bei dieser Frage nicht.

 

Ca. 50 Jahre dauert das Auslaufenlassen eines Friedhofs. Solange muss er gepflegt werden, ohne dass neue Bestattungsgebühren die Friedhofspflege tragen.

 

Wenn man die wechselhafte Geschichte der Bestattungskultur betrachtet, wird man merken, wie schwierig Zukunftsprognosen sind. Mitte der siebziger Jahre waren viele Friedhöfe voll, man plante neue. Doch eine Gesetzesänderung verkürzte die Ruhefristen, die sich stark verbreitende Mobilität der Familien ermunterte immer mehr, ihre Gräber nicht weiter zu kaufen, und die Vorbehalte vieler Menschen und auch der Kirchen gegen Verbrennungen schwanden. Plötzlich wurden die vorhandenen Friedhöfe leerer, Grabflächen wurden nicht mehr belegt und immer größere Rasenflächen prägen seither die Friedhofslandschaft. Und diese Friedhöfe sind immer schwieriger zu unterhalten.

 

Doch wer weiß, was in Zukunft passiert? Vielleicht treten die Friedhöfe irgendwann wieder stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Vielleicht werden für junge Menschen die Gräber ihrer Vorfahren zu Symbolen ihrer Heimat, die sie ihres Berufes wegen verlassen mussten zu einer Odyssee mit jährlich wechselnden Adressen. Vielleicht gilt die große Grabstätte irgendwann wieder einmal als schick.

 

Was kann man tun, um die Unterhaltungskosten der Friedhöfe den schwindenden Einnahmen anzupassen und sie damit zu erhalten?

 

  • Die Friedhofsträger, vielfach die Kirchengemeinden, können die Belegung ihrer Friedhöfe so steuern, dass irgendwann nach Jahrzehnten Randflächen anders genutzt oder verkauft werden können.

  • Flächen im Inneren der Friedhöfe kann man mit Hecken unsichtbar machen und damit den  Pflegeaufwand reduzieren.

  • Wege kann man begrünen und damit eine leicht zu pflegende Rasenlandschaft mit Gräbern wie kleinen Einsprengseln schaffen, so wie es amerikanische Friedhöfe vormachen.

  • Städte können die Friedhöfe als Grünflächen und Parks, als  Erholungszonen ansehen und so ihre Erhaltung fördern.

  • Wenn man bedenkt, dass der Besucher eines preiswerten kleinen Urnengrabes dieselbe Infrastruktur eines Friedhofs nutzen wie der Besucher eines teuren Wahlgrabes, dann ist es gerechtfertigt, Urnengräber teurer zu machen und Sarggräber preiswerter. Vielleicht können dann auch wieder mehr große Gräber verkauft werden.

 

Sie sehen, es ist sehr schwierig, Wege zu finden, dass die Gemeinden als Friedhofsträger auch in 50 Jahren noch ihre Friedhöfe behalten und unterhalten können. Ich bin allerdings gerade aus der Rückschau auf die dreißig von mir erlebten Jahre Friedhofskultur überzeugt, dass auch in hundert Jahren Menschen Friedhöfe brauchen und es deshalb eine
Finanzstruktur geben wird, die es Gemeinden ermöglicht, Friedhöfe zu unterhalten.

 

Wir sind am Ende einer kleinen Gedankenreise durch die Veränderungen und Beständigkeiten der Bestattungs- und Friedhofskultur. Unendlich groß ist die Vielfalt.Ich wollte nur mit eineihen wenigen Akzenten die
Faktoren beleuchten, die meines Erachtens den Kulturwandel beeinflussen und prägen.

 

 

 

 

 



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© Manfred Alberti

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