Manfred Alberti
Presbyterium Ade
Oder: Abschied vom Presbyterium als Leitung der
Gemeinde
„Herr Dr. Lehnert, zu ihrem Buch habe
ich noch eine Frage: Ich vermisse bei Ihnen die Pfarrwahl durch die Gemeinde.
Habe ich die übersehen?“ „Nein, nein, aber man muss ja auch nicht über
alles schreiben.“
Ungläubig staunend lese ich in dem von Präses
Nikolaus Schneider und dem leitenden Dezernenten für die Personalentwicklung
Dr. Volker A. Lehnert herausgegebene Werk über das zukünftige Pfarrbild: Die
für die rheinischen Gemeinden grundlegende Pfarrwahl in der Gemeinde durch
das Presbyterium ist schon nicht mehr im Blickfeld der kirchenleitenden
Personen. Abgeschafft und ersetzt durch Träume davon, wie gut doch eine
Personalauswahl durch das Landeskirchenamt sein könne, wenn nur die Gemeinden
präzise ihre Anforderungen an ihren zukünftigen Pfarrer oder ihre Pfarrerin
definieren würden. (Schneider/Lehnert, Berufen – wozu? Zur gegenwärtigen
Diskussion um das Pfarrbild in der evangelischen Kirche, Neukirchen 2010.)
Ein stabiler Pfeiler der Rheinischen Gemeinden
wird demontiert: Die Pfarrwahl durch die Gemeinde. Wenn der Kirchenkreis die
Pfarrer auswählt und Pfarrer angebunden wären beim Kirchenkreis, dann könnten
die Pfarrer und Pfarrerinnen in Konfliktfällen unproblematisch versetzt
werden. Dann könnten bei schwindenden Gemeindegliederzahlen die
Aufgabenbereiche leichter neu zugeschnitten werden. Der KSV könnte, aus der
besseren Übersicht heraus, welcher Pfarrer in den Kirchenkreis am besten
passt, eine bessere Pfarrwahl treffen als die Gemeinden mit ihrem
beschränkten Überblick: so hört man inzwischen landauf landab die Argumente,
den Gemeinden die Wahl des Pfarrers oder der Pfarrerin zu entziehen.
Die Gemeinde, die sich bislang den Pfarrer
gewählt hat, der 100 % zu ihr passt, diese Gemeinde muss in Zukunft voll
Bangen und Hoffen erwarten, wen die Kirchenleitung ihr schickt. Mit einem
resignierenden „Sich in das Schicksal Ergeben“, wie es vielen katholischen
Gemeinden ergeht. Und ob die Zufriedenheit der katholischen Gemeinden mit den
ihnen zugewiesenen Theologen Hoffnung macht, das wird mancher wohl zu Recht
arg bezweifeln.
Sprachlos macht da das Vertrauen der
Kirchenleitung darin, dass die Gemeinden nur präzise genug beschreiben sollten,
wen sie wollen: Dann könnte man den besten finden. Als wenn eine
Pfarrstelle dem Arbeitsplatz eines Forschers in der Pharmaforschung gleichen
würde, für den man weltweit mit viel Geld den besten zur Verfügung stehenden
Spezialisten sucht, der eine klar umrissene Aufgabe erfüllen muss.
Dass ein Pfarrer vor allem auf die
Akzeptanz und Sympathie einer Gemeinde angewiesen ist, damit er ehrenamtliche
Mitarbeiter finden kann, damit die Gemeindeglieder freiwillig gerne seiner
Predigt zuhören und ihn als ihren Pfarrer ansehen, das kann das beste
landeskirchliche Auswahlprinzip nicht ersetzen: Wenn bei vielen Katholiken
die Sonntagspflicht zum Gottesdienst ruft, dann ist das in evangelischen
Gemeinden eine ganz freiwillige Angelegenheit: Und ein Pfarrer, den die
Gemeinde nicht mag und den sie nicht selbst gewählt hat, wird das Leben einer
Gemeinde bald zum Erlöschen gebracht haben.
Nach
unserer Kirchenordnung Art. 15 ist das Presbyterium die Leitung der
Gemeinde:
„( 1 ) Das Presbyterium leitet die
Kirchengemeinde und fasst die dafür notwendigen Beschlüsse. Es trägt die
Verantwortung für die Erfüllung des Auftrages der Kirchengemeinde gemäß Artikel 1.
( 2 ) Es sorgt für die erforderlichen
organisatorischen, personellen und sachlichen Voraussetzungen.
( 3 ) Das Presbyterium ist verantwortlich für
eine ordnungsgemäße Verwaltung der Kirchengemeinde.“
Das ist eigentlich mehr als nur ein Artikel
der Kirchenordnung: Die Leitung durch das Presbyterium ist eine grundlegende
Ordnung unserer Kirche und eine wichtige Grundlage unseres theologischen
Selbstverständnisses.
Aber die im Rheinland kursierenden
Vorstellungen zukünftiger Gemeinde- und Kirchenkreisstrukturen lösen
noch viel mehr wichtige Teile aus dem Verantwortungs-bereich des
Presbyteriums. So seien zum Beispiel genannt:
Die Personalhoheit: Angesichts der immer
kleiner werdenden Zahl von Jugendmitarbeitern gibt es wohl in einigen
Kirchenkreisen, wie Wuppertal, Überlegungen, die Jugendmitarbeiter am
Kirchenkreis anzusiedeln und sie dann für ihre Aufgaben in einzelne Gemeinden
zu entsenden. Ähnlich mit den Kirchenmusikern: Kaum eine Gemeinde leistet
sich noch einen A-Kirchenmusiker. Damit dieser Berufsstand nicht ganz
ausstirbt, wollen manche KSV-Mitglieder die Kirchenmusiketats der Gemeinden
zusammenlegen, um daraus eine bestimmte Anzahl von hochqualifizierten
Musikern zu bezahlen. Die Gemeinde verlöre ihre Personalhoheit über zwei
weitere Bereiche, nachdem vor einigen Jahren schon der
Gemeindeschwesternberuf ausgestorben ist, weil die Pflege den gesetzlichen
Bestimmungen folgend nur noch von größeren Diakoniestationen geleistet werden
kann.
Die Gemeindeämter: Auf einer ähnlichen
Schiene, so hallt es durch die Landeskirche, laufen die Überlegungen zu einer
Verwaltungsstrukturreform. Im Kirchenkreis Wuppertal erreichte gerade ein
Antrag (noch) nicht die erforderliche Mehrheit, der darauf abzielte zu
prüfen, ob sich nicht aus den Erfahrungen der jetzigen NKF-Umstellung die
Folgerungen ergeben müsse, dass große Kirchenkreisämter effektiver arbeiten
könnten und deshalb zwangsweise – nicht freiwillig - alle Gemeindeämter
abzuschaffen seien. Dass große Ämter mit einer großen Hierarchie viel teurer
sein müssen als kleine Ämter, übersehen die Verfasser solcher Pläne gerne:
denn einige von ihnen dürften ja die Nutznießer an der Spitze des
Stellenkegels sein. Die verlorene Gemeindenähe, die fehlende Kenntnis
örtlicher und personaler Strukturen, umständlichen Verwaltungswege und die
weichen Kosten, wie Fahrten in weit entfernte Verwaltungsämter, werden bei
solchen Plänen gerne als unwichtig abgetan.
Die Gebäude: Nun haben die Gemeinden ja
Kirchen, Gemeindezentren, Häuser, Grundstücke, Garagen usw. Für Düsseldorf
eine unübersehbare Vielfalt: Wie schafft man da Durchblick? Der Trick: Alle
Gemeinden müssen eine Gebäudestrukturanalyse machen. Jede Kirche, jedes Haus,
jede Garage wird dokumentiert, begutachtet, kartiert und in ein
Computerraster eingetragen. Damit das nicht jeder nach eigenem Gutdünken macht,
dürfen nur ein Dutzend kirchlich zugelassene Gutachter solche
Gebäudestrukturanalysen erstellen und müssen alle Daten in das
landeskirchlich vorgegebene Computerraster eintragen. Dabei muss nicht nur
der Sanierungsbedarf eines Gebäudes benannt und dokumentiert werden, sondern
es muss z.B. auch bei der Stadtverwaltung erhoben werden, was man mit jedem
bebauten und unbebauten Gemeindegrundstück planungsrechtlich anfangen dürfe,
wenn man die Gebäude abreißen würde. Egal, ob das nächste Woche geplant ist oder
eher am St. Nimmerleinstag. Nur die Kosten fallen jetzt an: So z.B. ca.
20 000 € bis 25 000 € für eine kleinere Gemeinde, die
125 000 € Kirchensteuer im Jahr bekommt.
Ist es nicht naheliegend, als Ziel des Ganzen
Folgendes zu sehen? Wenn das Kataster steht, kann man von oben mit Knopfdruck
aus planen, welche Kirchen, welche Gemeindehäuser, welche Gebäude in einer
Stadt oder einer ländlichen Region am besten zu erhalten seien und von
welchen man sich trennen sollte. Die Interessen der Gemeinden selber spielen
dabei keine Rolle mehr. Ihre Entscheidungskompetenz über die eigenen Gebäude
liegt bald in anderen Händen: in der des Kirchenkreises oder der des
Landeskirchenamtes.
Die Selbständigkeit: Nun kann man
natürlich nicht so ohne weiteres den Presbyterien und Gemeinden
Verantwortung, Geld und Macht über das eigene Eigentum entziehen: Aber auch
da gibt es Mittel und Wege: die Gemeinden gehen pleite.
Man bestimmt z.B. von oben, was eine
lebensfähige Gemeinde alles können, tun und leisten muss: Richtlinien über
die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde: Kann sie das nicht, wird sie sich wohl
oder übel zusammenlegen lassen müssen.
Dann werden die finanziellen
Daumenschrauben angelegt: Die Substanzerhaltungspauschale. Man beruft sich
darauf, dass es Gemeinden gibt, die ihre Bauunterhaltungsrücklage sträflich
vernachlässigt haben (was sicher stimmt). Deshalb werden alle
kirchlichen Besitzer von Gebäuden verpflichtet, nach einem bestimmten
Schlüssel Rücklagen zurückzulegen. Landeskirche und Kirchenkreise können das
leicht erfüllen, denn sie besorgen sich das benötigte Geld über die Umlage.
Nur unten bei den Gemeinden kommt immer weniger an. Und so müsste die oben
angeführte kleine Gemeinde von ihren 125 000 €
Kirchensteuerzuweisung 88 000 € jährlich als
Substanzerhaltungspauschale zurücklegen. Da das natürlich viele Gemeinden
nicht können, hat man jetzt die Ausnahmeregelung geschaffen, dass man diese
„Zwangsrückstellungen“ im Haushaltsplan als Fehlbetrag auf das nächste Jahr
vortragen kann. Und beim Jahresabschluss, wenn die Zuführung an die
Substanzerhaltungsrücklage auch tatsächlich nicht möglich ist, muss das
Presbyterium beschlussmäßig zur Kenntnis nehmen und feststellen, dass es nicht
in der Lage ist, seinen vorschriftsmäßigen (finanziellen) Verpflichtungen
nachzukommen - sozusagen als Schulden, die man nicht begleichen kann. Fällt
diese Ausnahmegenehmigung weg, würde das bedeuten: Die Gemeinde ist
pleite: Voller Schulden ist sie nicht mehr lebensfähig und kann aufgelöst,
zusammengelegt, zwangsverwaltet etc. werden.
Dass es ernsthaft einen
Verwaltungsverantwortlichen geben könnte, der die Substanzerhaltungspauschale
für ein geeignetes Instrument für die Erhaltung der Substanz hält, ist
eigentlich kaum vorstellbar. Jeder Laie, der sich damit beschäftigt, merkt
schnell, dass das so nicht klappen kann. Also: Das Ziel muss ein ganz anderes
sein. Welches? Ich weiß es nicht. Eine deutliche Konsequenz der
Substanzerhaltungspauschale ist nur die Zerstörung der finanziellen
Grundlagen der Gemeinden.
Nun habe ich als Gemeindepfarrer ja nur einen
kleinen Durchblick und wenige Erfahrungen. In vieles bekomme ich keine
Einsicht oder erst dann, wenn es zu spät ist:
Aber bei mir hat sich der Eindruck entwickelt,
es gibt starke Kräfte in der Landeskirche, die die presbyteriale Struktur
nachhaltig zerstören wollen zugunsten einer synodalen Struktur. Der
Kirchenkreis, der Superintendent und der KSV werden in vielen Gesprächen als
die zukünftigen Mächtigen in unserer Kirche gehandelt. Die Zeiten von
Verantwortung und Kompetenz der Presbyterien und der Gemeinde ist damit
vorbei. Es wird bald nur noch ganz wenig geben, was an Verantwortung in den
Händen der Gemeinden liegt.
Entscheiden wird darüber die Landessynode: Und
die Landessynode setzt sich vor allem aus den Superintendenten und den
Abgeordneten aus den Kirchenkreisen zusammen: Das sind aber häufig Menschen,
die auf der Kirchenkreisebene eine wichtige Rolle spielen und denen
deshalb das Vertrauen in eine gute Leitung durch den Kirchenkreis näher liegt
als das Vertrauen in die Presbyterien.
Aber
ist nicht der Kirchenkreis hoffnungslos überfordert mit solchen
Leitungsaufgaben? Welches KSV- Mitglied kennt sich denn schon in den
differenzierten Verhältnissen der einzelnen Gemeinden aus: In ihren Stärken
und Schwächen, ihren Hoffnungen und Problemen? Wer kann denn wirklich die
Entscheidungskompetenzen eines Ortspresbyteriums ersetzen? Und das dauerhaft
und immer wieder? Nicht in einzelnen Konflikten, bei denen man sich
Informationen von allen Seiten holen kann, sondern Woche für Woche, Monat für
Monat. Und kann wirklich eine noch so effiziente Personalverwaltung durch das
Landeskirchenamt in Zusammenarbeit mit dem KSV die bessere Entscheidung über
den neuen Gemeindepfarrer treffen als das Presbyterium gemeinsam mit der
Gemeinde? Völlig undenkbar! Hier werden keine Probleme gelöst, sondern neue
geschaffen.
Mit der
Zerstörung der Presbyterien untergraben Landessynode und Kirchenleitung das
Fundament unserer Gemeinden. Leider hat sich in den letzten Jahren ziemlich
unbemerkt die Grundtendenz durchgesetzt: Nicht Stärkung und Hilfe für die
Presbyterien, um sie zu unterstützen, sondern Abschaffung der Presbyterien
als Gemeindeleitung.
Vermutlich werden in wenigen Jahren die
Presbyterien in den Gemeinden dieselbe belanglose Rolle spielen wie die
Bezirksvertretungen in den Großstädten: Machtlose Gremien, die ein paar
tausend Euro dorthin verteilen können, wo sie ihren Kindergarten, eine
Jugendgruppe oder eine Initiative unterstützen möchten: Vielleicht dürfen sie
auch über die Farbe der Sitzkissen in der Kirche entscheiden. Nicht einmal
auf eine Antwort der Verwaltung auf von ihnen gestellte Fragen können sich
heute die Bezirksvertretungen verlassen. Kurz vor Beratungsschluss werden sie
in Pläne eingeweiht: Mitspracherecht oder Mitwirkungsrecht haben sie so gut
wie nicht.
Und wer entscheidet wirklich? Zwei
Antworten legen sich aus den Erfahrungen der politischen Kultur nahe:
Entweder die Verwaltungen haben alles fest im Griff. Abgeordnete haben heute
auf allen politischen Ebenen keine großen Einflussmöglichkeiten – warum
sollte es dann den Presbytern, Kreissynodalen, Landessynodalen oder
KSV-Mitgliedern in ähnlichen Situationen besser ergehen? Oder vielleicht wird
in einzelnen Kirchenkreisen ein starker Superintendent das Zepter schwingen.
Doch Superintendenten kommen und gehen: Aber die Verwaltung bleibt!
Wenn jedenfalls nur ein Teil der Dinge
verwirklicht wird, die momentan durch die Landeskirche geistern, dann kann man
nur sagen:
400 Jahre Presbyteriumskultur als
Leitungsgremium der Gemeinden gehen zu Ende. Presbyterium
ade!
Ab Mitte Dezember 2010 oder kurz vor
Weihnachten kann man unter www.ekir.de/ArbeitsfelderA-Z/Landessynode/Landessynode2011
die Vorlagen für die Landessynode 2011 lesen. Dann wird man sehen können, wo
landessynodale Entscheidungen die Zukunft des presbyterialen Akzentes unserer
Kirchenordnung tangieren. Vielleicht helfen dann nur noch Gespräche mit den
Abgeordneten vor der Landessynode, um die Vorteile der presbyterialen
Gemeindeleitung deutlich zu machen.
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