Städtische Entscheidungen:
Entscheidungen aus Vernunftgründen oder als politischer Wille
Vor einigen Wochen hat ein Wuppertaler Chefredakteur in seiner Kolumne darüber nachgedacht, warum sich Politik und Verwaltung in Wuppertal so schwer tun, zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. Und Entscheidungen wie zur Seilbahn ließ man sich dann noch aus der Hand nehmen und gäben den Bürgern die Macht zur Entscheidung. Wirtschaft tickt da anders: Arbeitswelt, Privatleben und Gesellschaft wandeln sich in rasantem Tempo. Die vielzitierte Transformation läuft bereits. "Und für die Arbeitswelt braucht es neue Expertise. Unternehmer stellen sich darauf mit größtmöglicher Geschwindigkeit ein. Tun sie das nicht, verschwinden sie vom Markt." (WZ 19.06.2021)
Das ist sicher richtig gesehen, aber der meines Erachtens wichtigste Aspekt fehlt: Entscheidungen werden in der Wirtschaft auf ganz andere Weise gefällt als in der Verwaltung. Verantwortliche in der Wirtschaft brauchen bei der Beurteilung eines Projektes alle Aspekte: Sowohl die Chancen als auch die Risiken, die Vor- und die Nachteile, eine Einschätzung der Gewinne als auch möglicher Verluste. Alles Denkbare muss diskutiert und gewichtet werden und erst dann kann man eine Entscheidung treffen.
In Verwaltung und Politik laufen Entscheidungen anders: Für die geplanten Ziele muss man Mehrheiten in den entscheidenden Gremien organisieren. Deshalb werden die Vorteile eines Projektes laut hinausposaunt, die Nachteile und Gefahren möglichst verschwiegen. Sie sollen erst dann bekannt werden, wenn die Entscheidungen getroffen sind. Viel zu optimistische Finanzierungen, später unumgängliche Umplanungen und juristische Schwierigkeiten sind die leicht erklärbaren Folgen solcher politischen Entscheidungsfindungen, wenn nicht vorher alles Erdenkliche mit in die Überlegungen einbezogen worden ist.
Das hat auch 2019 die Seilbahnpläne zerstört: Wenn die Sorgen der betroffenen Anwohner bewusst nicht berücksichtigt werden, sondern ihre Behandlung erst auf das Planfeststellungsverfahren in einigen Jahren verschoben wurde, dann war das nicht nur juristisch fragwürdig, sondern zerstörte das Grundvertrauen der Bevölkerung in solche politischen Planungen. Wenn man schon Jahre vorher alle bekannten Nachteile und Gefahren mit überlegt hätte, hätte man sich Mio. € für vergebliche Vorarbeiten und den Bürgerrat sparen können. Trotz zig Versuche und Planungen in Deutschland gibt es keine einzige urbane Seilbahn über Wohngebieten und es ist abzusehen, dass es sie auch nie geben wird.
Mit grenzenlosem Optimismus die Bevölkerung von Plänen überzeugen zu wollen und die Augen vor offensichtlichen Nachteilen zu verschließen, kann keine erfolgreiche zukunftsweisende Strategie sein. Der Zeitdruck durch die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie zur Bundesgartenschau in der Ferienzeit mit im September unmittelbar anschließender Entscheidung verhindert jede vernünftige öffentliche Diskussion. Dabei müssen die belegbaren Vorteile einer Bundesgartenschau für Bevölkerung und Stadtstruktur deutlich den nicht reduzierbaren Wuppertaler Eigenanteil von 70 Mio. € übersteigen: Sonst wird das Projekt ein Flop wie die Seilbahn.
Bei solchen Diskussionen ist es eine wichtige Aufgabe der Presse, alle Argumente, auch die kritischen, deutlich zu benennen und angemessen zu bewerten. Erst dann basieren auch politische Entscheidungen auf den besten denkbaren Fakten und nicht auf einseitigen Interessen. Erst dann lässt sich eine kritische Öffentlichkeit überzeugen.
Firmen machen sehr präzise eine solche Entscheidungsfindung. Politik und Verwaltung sollten mit offenherzigen Aufstellungen aller denkbaren Vor- und Nachteile einer Bundesgartenschau im Internet die Bevölkerung zum kritischen Mitdenken einladen und so von der "Schwarmintelligenz" aller Wuppertaler profitieren. Dann können die politischen Entscheider sich bei ihrem Urteil auch auf die Unterstützung der Wuppertaler verlassen.
Manfred Alberti
manfredalberti@hotmail.com www.manfredalberti.de
(veröffentlicht in wtotal am 14.07.2021)