Johanniter Kliniken Bonn - Bad Godesberg
Fortbildung „Palliativmedizin und Hospizarbeit“
Prof. Dr. med. Y. D. Ko
Mi. 01. Juni 2016 16.00 Uhr
GemeindesaaI Ev. Erlöserkirchengemeinde Bonn Bad Godesberg
Ist Sterbehilfe Töten?
Wie eine falsche Fragestellung eine wichtige Debatte zum Kippen brachte.
Pfr. i. R. Manfred Alberti, Wuppertal
Sehr geehrter Prof. Dr. Ko, sehr geehrte Damen und Herren,
eine Situation, wie sie viele von Ihnen kennen, vielleicht sogar täglich erleben: Abendmahl im Seniorenheim. Nach dem Gottesdienst Besuch bei einigen Bettlägrigen: Eintreten, der Mitarbeiter dreht das Fernsehen aus: „Frau Sowieso, hier ist Pastor Alberti mit dem Abendmahl!“ Keine oder fast keine Reaktion. Ich spreche einen kurzen Text, das Vaterunser, die Abendmahlsworte, halte Brot und Saft an ihren Mund, spreche einen Segen und wir verabschieden uns.
„Frau Sowieso ist jetzt 102 Jahre alt, sie liegt hier seit drei Jahren, nahezu unverändert“ - sagt mir der Mitarbeiter des Seniorenheimes. Hat sie uns wahrgenommen? Ich weiss es nicht.
Fünf Zimmer, fünf mal die gleiche Situation: Menschen zwischen 95 und 105 Jahren, jeder zum Teil mehrere Jahre am Leben erhalten durch künstliche Ernährung.
Dann Besuch eine Etage tiefer bei einer langjährigen ehrenamtlichen Helferin. 84 Jahre alt. Für ihr Alter noch recht fit. „Ich bitte den lieben Gott jeden Abend, dass er mich holen möge, wenn ich einmal krank werde. Bitte sorgen Sie dafür, dass ich nie mehr ins Krankenhaus muss.“ Das sagt sie mir bei jedem Besuch, manchmal auch mehrmals. Die Patientenverfügung ist lange ausgefüllt und liegt überall vor.
Ähnliche Worte höre ich bei fast allen Besuchen bei sehr alten Menschen und oft die große Angst, einmal in komaähnlichem Zustand lange dahinvegetieren zu müssen und nicht sterben zu können.
Kurz später die Nachricht: Der Bundestag plant ein Gesetz zur Sterbehilfe. „Eine gute Nachricht“ denke ich „als uralter Mensch so lange teilnahmslos und apathisch liegen zu müssen, ohne jede realistische Hoffnung auf Besserung, das ist ein schlimmer Zustand, vor dem viele alte Menschen riesige Angst haben.“
Als dann im Sommer 2015 die Gesetzentwürfe veröffentlicht werden, studiere ich sie neugierig: „Wie wird das Problem gelöst?“ -
Und bin sehr überrascht: Gar nicht wird das Problem gelöst. Die uralten Menschen mit Einschränkungen des Bewusstseins und ohne eigene Entscheidungsfähigkeit kommen in den Gesetzentwürfen nicht vor: Die Gesetze zielen ausschließlich auf entscheidungsfähige Menschen, die schwerkrank nicht mehr leben möchten, und auf Menschen, die in einer schriftlichen Erklärung früher einmal eine Lebensbeendigung im Falle schwerer Krankheit verfügt haben.
Was war passiert? Die Kritik an Sterbehilfevereinen wie dem von Roger Kusch war in den letzten Jahren immer lauter geworden. „Darf man mit Sterbehilfe Geld verdienen? Das gar zu seinem Beruf machen?“ Der öffentliche und mediale Druck auf die Politik war immens gewachsen, solche Sterbehilfevereine zu verbieten. Sterbehilfe gegen Geld, Sterbehilfe als Geschäft, - das geht nicht!
Gleichzeitig wird politisch diskutiert, dass fast die Hälfte der Ärztekammern ihren Mitgliedern bei Entzug der Approbation verbieten, Sterbehilfe zu leisten. Wie kann man da Ärzte vor dieser Gefahr schützen?
Vor allem diese beiden Probleme wollten die Verfasser der vier Gesetzentwürfe lösen. Die uralten, künstlich ernährten und nahezu bewußtlosen Menschen in Seniorenheimen waren gar nicht im Blickfeld.
Leider hat der Bundestag nun trotzdem das Thema bewusst hoch gehängt: Sterbehilfedebatte als bürgernahes Ereignis des Jahres 2015 für den Bundestag. Der Bundestag wird die Sterbehilfe regeln!
Der Bundestag lädt zu einer im Fernsehen übertragenen Sitzung ein und die Fraktionen heben den Fraktionszwang auf. Das Interesse der Öffentlichkeit steigt rapide. Demoskopen ermitteln, dass sich 81 Prozent der Bevölkerung für erleichterte Sterbehilfe aussprechen. Vermutlich gibt es eine riesige Angst vor langem Siechtum, denn viele kennen dieses Leiden von der Oma, dem Nachbarn oder von Besuchen im Seniorenheim. „Dann lieber erleichterte Sterbehilfe als ein solches Leben!“
Doch der Bundestag blendet diese Problematik der uralten Menschen ohne Einwilligungsfähigkeit völlig aus, er hat in allen vier Gesetzentwürfen nur die einwilligungsfähigen Menschen im Blick.
So diskutieren Bundestag und Bevölkerung auf zwei verschiedenen Ebenen: Hier die Probleme mit Sterbehilfevereinen oder Entzug der Approbation, dort der Wunsch nach erleichtertem Sterben statt jahrelangem Siechtum.
Im August 2015 habe ich in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung auf diese Diskrepanz hingewiesen. (Der Artikel liegt hinten aus.) Genutzt hat es nichts.
Genausowenig wie der Aufruf von 150 deutschen Strafrechtsprofessoren, die dringend davor gewarnt hatten, ein ethisch umstrittenes Problem mit Hilfe des Strafrechtes lösen zu wollen.
Genutzt haben auch die schriftlichen Erläuterungen und Einwendungen von 12 Gutachtern und die Befragung dieser Gutachter im Rechtsausschuss nichts: Der Bundestag hat an den im Juni 2015 vorgelegten Gesetzentwürfen kein Jota mehr geändert und so den Gesetzentwurf von Brand und Griese im November 2015 beschlossen.
Alle Warnungen sind ungehört verhallt. Statt der Ärzteschaft in schwierigsten Entscheidungssituationen den Rücken zu stärken und sie vor juristischen Auseinandersetzungen zu schützen, wird der ihnen vorliegende Paragraph 217 StGB ins Strafgesetzbuch eingefügt.
§ 217 StGB Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."
Verständlich, dass diese undifferenzierte Strafandrohung bei „geschäftsmäßiger“ Sterbehilfe viel Unbehagen hinterlassen hat. Denn natürlich ist es Aufgabe und insofern auch Geschäft der Ärzte, Menschen im Leben und im Sterben zu begleiten und zu beraten und ihnen medizinisch zu helfen. Wobei schon das Gespräch über Medikamente zur Sterbeerleichterung als verbotene ärztliche Sterbehilfe ausgelegt werden könnte. So wird nun die schwierige Entscheidung über ärztliches Handeln im Endstadium eines Lebens noch mehr erschwert.
Warum ist das so schiefgelaufen?
Schon der erste Schritt ging meines Erachtens nach in eine falsche Richtung. Beim Thema „Sterbehilfe“ hätte man sich die Reaktionen nicht nur aus kirchlichen und aus konservativen Kreisen an einer Hand abzählen können:
- „Sterbehilfe - das ist doch töten. Das geht gar nicht. Das muss prinzipiell verboten werden.“
- „Ärzte sind dem Leben verpflichtet - sie verletzten Ihr ärztliches Approbationsversprechen, wenn sie beim Töten helfen.“
- „Ein Dammbruch steht vor der Tür. Wir denken wieder wie im Dritten Reich. Menschen herrschen über Leben und Tod!“
Auf solcher Diskussionsbasis über ein hochsensibles Thema wie „Sterbehilfe“ können keine guten Ergebnisse wachsen: Die Bastionen sind schnell gebaut und werden hartnäckig verteidigt. Glaubensbekenntnis gegen Glaubensbekenntnis. Und da kann niemand Recht haben. Höchstens kann sich einer durchsetzen und gewinnen.
Und so hat sich konsequenterweise der Gesetzentwurf Brand / Griese durchgesetzt, der geschäftsmäßige Sterbehilfe prinzipiell verbieten und Verstöße dagegen mit dem Strafrecht ahnden will.
Wenn man mit Sterbehilfe Töten assoziiert, dann kann ein Parlament Sterbehilfe nur erschweren!
Doch ist Sterbehilfe wirklich Töten? Sterbehilfe bei uralten Menschen?
Die Sprache des Volkes macht das Problem anders deutlich: „Muss die Oma wirklich noch weiterleben, obwohl sie eigentlich schon tot ist?“ Ich glaube, eine solche Fragestellung trifft das Problem vieler Menschen viel besser.
Der Wunsch der Bevölkerung nach Erleichterung der Sterbehilfe resultiert aus der zunehmenden Fähigkeit der Medizin, Leben zu erhalten, obwohl nur noch rudimentäre Teile der Lebendigkeit vorhanden sind. Diese Fähigkeit der Ärzte und des Medizinbetriebs möchte man so nicht hinnehmen. Der Mensch soll sterben können, wenn sein Leben normalerweise krankheits- oder altersbedingt zu Ende geht, jeder soll das Recht haben auf seinen natürlichen Tod. Lebensverlängernde Maßnahmen bei einem offensichtlich zu Ende gegangenen Leben möchte man nicht mehr ertragen. Das steckt meines Erachtens hinter dem Wunsch der Bevölkerung nach erleichterter Sterbehilfe.
Lassen Sie mich aber bitte zur Vermeidung von fatalen Missverständnissen betonen: Ich rede nur über das Krankwerden sehr alter Menschen jenseits der achtzig oder fünfundachtzig Jahre. Menschen, die oft lebenssatt und dankbar auf ihr langes Leben zurückblicken.
Ich rede nicht von schwerstkranken Jüngeren und über die Lebensqualität von Schwerstbehinderten.
Ich rede nur über alte Menschen, die oft bei schweren Krankheiten die Lasten und Leiden einer medizinischen Behandlung und eines Klinikaufenthaltes nicht mehr ertragen möchten. Erst recht nicht, wenn sie nur aufgrund der Künstlichen Ernährung am Leben erhalten werden oder sich eine solche Aussicht vorstellen. Jahrelanges Siechtum ist für sie der Albtraum. Der Tod wäre in ihren Augen eine Erlösung.
Als erstaunlich empfinde ich es, dass diese Gruppe der sehr alten Menschen, die das normalerweise zu erreichende Lebensalter von 80 bis 85 Jahren überschritten haben, nicht als eigenständige Gruppe in der Diskussion um erleichterte Sterbehilfe betrachtet und zu diesem Thema befragt wird. Weder die Gutachter im Rechtsausschuss des Bundestages haben sich mit ihr besonders beschäftigt, noch hat Gian Domenico Borasio sie in seinem sehr lesenswerten Buch „Selbstbestimmt sterben“ als eine besonders zu betrachtende Gruppe hervorgehoben.
Es sollte meiner Meinung nach ein großer Unterschied für die Sterbehilfedebatte sein, ob ich mit 50 Jahren an einer schweren Krankheit erkranke oder ob das mit 90 Jahren geschieht.
Natürlich hätten die Menschen ihren Willen durch eine Patientenverfügung frühzeitig darlegen können. 60 Prozent der älteren Bevölkerung haben das auch getan. Aber das Ausfüllen einer solchen Patientenverfügung ist eine intellektuell und emotional so anstrengende und belastende Tätigkeit, dass diese Zahl von 60 Prozent realistischerweise kaum noch zu erhöhen ist.
Dürfen aber diejenigen durch jahrelanges Leiden am Rande des Komas bestraft werden, die nicht in der Lage gewesen waren, eine Patientenverfügung auszufüllen? Haben nicht auch sie ein Recht auf ruhiges Sterben?
Inzwischen sehen - so ist meine Erfahrung - viele Mediziner die Antwort auf diese Fragen ähnlich wie die Bevölkerung: Oft ist ein schnelles und ruhiges Sterben indiziert. Niemand soll gegen seinen vermuteten Willen lange leiden müssen und am Leben erhalten werden.
Aber die Umsetzung im Einzelfall scheint mir das Hauptproblem zu sein:
In Hospizen, in Palliativstationen und in vielen Krankenhäusern gibt es eine Gesprächskultur, oft in Ethikkomitees, die in gemeinschaftlicher Beratung zusammen mit den Angehörigen über Therapiebegrenzung oder einen Abbruch der Behandlung sprechen können.
Aber was geschieht in den Seniorenheimen oder im privaten Bereich, wo ein Hausarzt sich überlastet fühlt, eine einmal begonnene künstliche Ernährung wieder zu beenden? Der Arzt zwischen den unterschiedlichen Interessen von Ehemann, Kindern, Pflegern, dem Träger des Seniorenheims und seiner medizinischen Indikation.
Ein Gutachter des Bundestages, Dr. Thöne, schreibt in seinem Gutachten über die wirtschaftliche Seite: „Die Anzahl an Heimbeatmungen – also die häusliche Intensivmedizin – hat sich in den letzten 10 Jahren verdreißigfacht von 500 auf 15.000 Patienten im Jahr. Nichts rechnet sich so gut, wie Intensivbehandlung mit Monatskosten zwischen 20.000 - 60.000 €. Es ist fraglich, ob die Beatmung immer notwendig ist und dem Patientenwillen entspricht.“
Zwischen all diesen Positionen ist der Hausarzt isoliert und oft überfordert: Der Vorsitzende des Ethikkomitees des Nürnberger Klinikums, Prof. Dr. Frank Erbguth, schrieb in seinem Leserbrief zu meinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung im Abschluss an eine Bemerkung zur Sondenernährung bei Demenzkranken:
„Solchermaßen unsinnige medizinische Behandlungen zu unterlassen oder abzubrechen ist Pflicht der Ärzte. Dass diese ihre Verantwortung in Sachen unkritische Lebens- und damit Leidensverlängerung zu selten wahrnehmen, ist tatsächlich zu beklagen.“
Ich möchte nicht den allergeringsten Vorwurf an in solchen Situationen überforderte Ärzte erheben: Sie sind faktisch ziemlich alleine gelassen mit schwierigen Entscheidungen und der Bundestag hat ihnen leider die notwendige und mögliche Rückendeckung nicht gegeben.
Nach dem Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches wird schon die Hilfe und Unterstützung eines einwilligungsfähigen sterbewilligen Patienten bei seinem Suizid unter Strafe gestellt.
Um wieviel mehr besteht dann nicht nur im Bewusstsein der Ärzte die Gefahr, für die Hilfe beim Sterben eines Menschen ohne Einwilligungsfähigkeit, der durch einen Betreuer vertreten wird, juristisch belangt zu werden?
Der Würzburger Strafrechtsprofessor Dr. Eric Hilgendorf hatte schon in seinem offiziellen Gutachten zum Gesetzgebungsverfahren gewarnt:
„Mit der ganz überwiegenden Mehrzahl der deutschen Strafrechtsprofessorinnen und Strafrechtsprofessoren vertrete ich daher die Ansicht, dass eine Änderung des Strafrechts zum jetzigen Zeitpunkt nicht zielführend ist und sogar erheblichen Schaden stiften könnte, weil die vorgeschlagene strafrechtliche Regelung von Sterbehilfe – genauer: der Hilfestellung beim Suizid – nicht möglich ist, ohne auch die Ärzteschaft, insbesondere die im Bereich der Hospiz- und Palliativmedizin tätigen Ärzte, in einen strafrechtlichen Graubereich zu ziehen.
Zu bedenken ist dabei stets, dass die Staatsanwaltschaft in Deutschland schon dann tätig werden muss, wenn auch nur der Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt (§ 152 Abs. 2 StPO). Dies bedeutet im Ergebnis, dass alle Unklarheiten und Unsicherheiten eines neuen Straftatbestandes im Kontext der Sterbehilfe erst einmal zu Lasten der Ärzteschaft gehen. Bereits ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wird in der Regel für den betroffenen Hospizarzt oder die betroffene Palliativmedizinerin potentiell berufsvernichtende Konsequenzen haben – ein u.U. erst Jahre darauf erfolgender gerichtlicher Freispruch kommt zu spät.“ (so weit Hilgendorf)
Der Bundestag hat ein fatales Signal ausgesendet: Von Sterbehilfe besser die Finger zu lassen, die Gefahr von Strafverfolgung könnte zu groß sein. Dieser Druck wird es vielen Ärzten, vor allem den Hausärzten, nicht erleichtern, hilfreiche Beratung auf und bei dem Weg zum Sterben leisten zu können.
Wie kommt man aus diesem nun einmal entstandenen Dilemma heraus?
Eine Möglichkeit zur Unterstützung der Ärzte gäbe es, wenn sowohl Ärzte, Pflegekräfte als auch Angehörige bei allen schwerstkranken Patienten ein Gesprächsforum haben könnten, das bei Fragen über Weiterbehandeln oder Behandlungsabbruch mit berät und so die Verantwortung auf mehreren Schultern mit trägt. Ethikkomitees oder Konsilien haben sich in Kliniken und Hospizen als gutes Beratungsinstrument bewährt.
Deshalb könnten außerhalb von Kliniken und Hospizen jetzt ärztliche Eigeninitiativen gefragt sein: So könnten solche Komitees auch für Seniorenheime und zu hause gepflegte Patienten entstehen.
Vielleicht bietet sich auch eine politische Lösung an: Man könnte die Defizite des Sterbehilfegesetzes in Bezug auf die Sterbehilfe für nicht einwilligungsfähige Menschen in der nächsten Legislaturperiode für eine Verbesserung nutzen: Der Bundestag könnte in Ergänzung des Paragraphen 1901 b BGB (Thema Patientenverfügung) zur Ermittlung des Patientenwillens die flächendeckende Einführung von Ethikkomitees durch Kommunen und Landkreise beschließen, so dass es für jeden Patienten und jeden Arzt auch außerhalb von Kliniken und Hospizen ein Ethikkomitee als potentiellen Ansprechpartner zur Beratung gibt. Keiner der Beteiligten ist alleine gelassen mit seinen Überlegungen und Zweifeln.
Im Rahmen eines solchen Gesetzes könnten dann Ärzte, wie auch Borasio es gefordert hat, vor der Gefahr juristischer Verfolgung bei ärztlicher Sterbehilfe für ihre Patienten geschützt werden.
Noch einmal zurück zur Frage: „Ist Sterbehilfe Töten?“ Ich beschränke mich bewusst auf die alten Menschen jenseits der 80 / 85 Jahre. Die Lebenssituation dieser Menschen erfordert meines Erachtens eine eigene Antwort zum Thema „Sterbehilfe“.
Nach sehr vielen Gesprächen als Seelsorger mit alten und uralten Menschen sehe ich es als die Normalität an, dass fast alle Menschen sich in diesem Alter wünschen, dass sie, wenn sie schwer krank werden, ein Anrecht auf ihren Tod haben. Möglichst schnell und ruhig sterben und möglichst ohne Schmerzen! Viele möchten die Mühen eines Krankenhausaufenthaltes oder einer intensiven Behandlung nicht mehr auf sich nehmen. Viele sind lebenssatt, sie freuen sich, das Ende ihres Lebens erreicht zu haben. Müh' und Plage und die Kräfte haben nun ein Ende. Wie oft habe ich das gehört!
Ihnen jetzt das Sterben zu nehmen, indem man sie gegen ihren zu vermutenden normalen Willen am Leben hält, wäre Körperverletzung, wenn nicht die Lebenserhaltung die medizinische Indikation ist.
Der Tod ist ureigenes Recht. Der Tod gehört zum Leben hinzu. Sterbehilfe kann dem lebenssatten schwerkranken Menschen zu dem normalen, gewünschten und ersehnten Tod verhelfen. Sterbehilfe gibt so dem natürlichen Gang des Lebens sein Recht. Solche Sterbehilfe kann also kein Töten sein. Hilfen beim und zum Sterben, aber auch die palliative Begleitung (zuhause, im Hospiz, im Seniorenheim und im Krankenhaus) stützen das jedem Menschen zustehende Recht auf Leben und Sterben.
Wenn ein Menschen aber auf jeden Fall solange leben will wie eben möglich, egal wie krank und hinfällig er ist, dann kann er diesen Willen ja durch eine Patientenverfügung hinterlegen: ob die verantwortlichen Ärzte das dann für indiziert, angemessen und finanzierbar halten und umsetzen, steht auf einem anderen Blatt.
Mit einer offenen Frage von Prof. Dr. Frank Erbguth aus Nürnberg möchte ich gerne schliessen. In seinem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung schrieb er: „Allerdings müssen auch die gesellschaftlichen Ambivalenzen auf den Tisch. Vordergründig sind sich alle einig: ohne Qualen soll man Sterben dürfen, möglichst zuhause, möglichst selbstbestimmt, keine übergriffige Medizin. Aber unsere Notaufnahmen werden überschwemmt von moribunden Patienten aus Pflegeheimen, die sich fürchten vor aufgeregten Angehörigen, die mit dem Kadi drohen, wenn der sterbende 93-jährige Patient nicht ins Krankenhaus gefahren wird. Gefragt ist eine Renaissance der Übernahme von Verantwortung bei schwerer Krankheit und Sterben.“ (soweit Erbguth)
Wir sind in unserer Gesellschaft auf dem Weg der Anerkennung des Todes als natürlichem Ende des Lebens, auf dem Weg der Anerkennung des Rechtes auf einen natürlichen Tod, schon sehr weit vorangeschritten. Aber wie schaffen wir es, dass alle Angehörigen, alle Pfleger und alle Ärzte das auch in der aktuellen Situation des Sterbens akzeptieren?
Einige Tage später, im Trauergespräch mit dem Pfarrer, ist für viele Angehörige das Stichwort „Erlösung“ das befreiende Signalwort. Aber der Schritt zu dieser Erkenntnis kommt leider manchmal viel zu spät.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse.