Auf der ersten Seite der Denkschrift, schon im Vorwort der EKD-Ratsvorsitzenden Kirsten Fehrs, offenbart die Friedensdenkschrift ihre
fundamentale Schwäche: Die Unordnung der Welt zeige sich im "völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" und im "Terrorakt der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023". Aus diesem
Blickwinkel heraus erscheint es unumgänglich, Gewalt nur mit Gegengewalt Einhalt gebieten zu können.
Aber fängt die Weltgeschichte erst 2022 oder 2023 an? Muss man nicht wenigstens die Entwicklungen seit dem Fall der Mauer mit dem einerseits sehr guten Verhältnis zu Russland und andererseits der
weiten Ostausdehnung der Nato in den Blick nehmen? Und beruht nicht der Angriff der Hamas auch auf einer jahrzehntelangen Unterdrückung der Palästinenser durch z.B die Siedlungspolitik Israels? Aber
der selbstkritische Blick auf möglicherweise eigene fehlerhafte Entscheidungen, die Kriege, Leid und Töten verlängern, gehört nicht zum Standardrepertoire der Politik. Doch muss Kirche das
unterstützen durch eine theologische Rechtfertigungsdenkschrift für eine billionenteure militärische Aufrüstung?
Diese Geschichtsverengung der Denkschrift wie der heutigen Politik versperrt den erhellenden Blick auf weitgehend gelungenen Friedenswege, z.B. zwischen Deutschland und Frankreich und zwischen den
meisten europäischen Staaten, z.B. durch die EU. So kommen die starken Friedenskräfte, die in engen Austauschbeziehungen liegen, überhaupt nicht als Friedensmöglichkeiten in den Blick, obwohl sie
sich über Jahrzehnte bewährt haben.
Ein ganzes Bündel von wirtschaftlichen Beziehungen, politischen Kontakten, Sporttreffen, kulturellen Ereignissen, wissenschaftlichen Konferenzen, Schüleraustauschen, touristischen Angeboten war
jahrelang die Basis für viele persönliche und staatliche Freundschaften. Dieses Bündel an Beziehungen stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl in weiten Teilen Europas einschließlich Russlands, denn
jeder Beteiligte und jedes beteiligte Land profitierte von diesen Kontakten. War nicht vor gut einhundert Jahren Frankreich noch der "Erzfeind" der Deutschen? Und haben nicht schon in den
Jahrhunderten vorher vor allem durch den Handel die Menschen ihren Weg aus den sich bekämpfenden Kleinststaaten Mitteleuropas hin zu einem friedlichen Zusammenleben gefunden?
Könnte man aus diesen Erfahrungen nicht Konsequenzen ziehen für einen Weg zu einem immer größer werdenden Verbund friedlich zusammenlebender Staaten? Irgendwann weltweit? Natürlich müsste man dann
sehr viel Initiative in das Ziel hineinstecken, dass weltweit alle Menschen ihre Vorteile von einem solchen Bündnis haben, nicht nur der machtbewusste und oft sehr egoistische Westen oder
China.
Leider liegt ein solcher Weg vielfacher Bündnisse, Wirtschaftsbeziehungen, politischer Kontakte und Austausche zwischen Sportlern und Schülern nicht im Blickfeld der Friedensdenkschrift. Sehr
schade. Hier hätte die evangelische Kirche wie 1965 mit der Ostdenkschrift einen erfolgversprechenderen Weg zu einer friedlichen Welt aufzeigen können.
Wer sich auf Frieden durch Gewalt und Gegengewalt verlässt, wird gerechten Frieden nie erleben können.
Manfred Alberti 07.12.2025